Max Scharnigg: “Die Besteigung der Eiger-Nordwand unter einer Treppe”

Nachdem der Journalist Nicol vor seiner Wohnungstür ein fremdes Paar Schuhe entdeckt, wird er mit dem Ende der Isolation konfrontiert, in die er sich mit seiner kranken Freundin zurückgezogen hatte. Also tritt er wieder den Rückzug an – diesmal unter die Haustreppe. Dort quartiert er sich hinter ein paar Kinderwagen ein und schreibt im Kopf an seinem Artikel zur Erstbesteigung der Eiger-Nordwand im Juli 1938 weiter.

Man muss sich auf die sanft-paranoide Überforderung des Protagonisten und die Absurdität des kammerspielartigen Schauplatz einlassen können, aber gerade darin entwickelt sich die merkwürdige Resonanz zur heutigen Zeit. Die Beschreibungen der Besteigung des alpinen Nordpasses und der Nachbar Schmuskaz mit seinen Paprikahendl halten die Novelle davon ab, zu klaustrophobisch zu werden.

Adrian Czajkowski: “Children of Time”

“Children of Time” von Adrian Czajkowski bietet die richtige Schmöker-Mischung aus epischer Wirklichkeitsflucht und grimmer Menschlichkeit. Wir folgen einerseits einem Generationenraumschiff, in dem ein letzter Rest der Menschheit überlebt hat. Doch der neue Planet, zu dem sie unterwegs sind, ist bereits besetzt mit intelligentem Leben: Spinnen von der Erde, deren Evolution aus Versehen vom Menschen angekurbelt wurde. Diese Spinnen sind die wahren Sympathieträger des Buches.

Das Buch folgt ihren Abenteuern seit Anbeginn ihrer fremdartigen Zivilisation. Umso tragischer macht das den unausweichlichen Kampf um die neue Erde, und umso verdienter das Ende! Zugegeben, besonders tiefgründig sind die Charaktere nicht. Aber das ist ein Plus in einer Zeit, die unsere Empathie woanders fordert. Ein cleverer Sci-Fi Schmöker, der sein Genre sehr gut vertritt und gleichzeitig innoviert.

Judith Schalansky: “Atlas der abgelegenen Inseln: Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde”

Das perfekte Buch gegen Fernweh in der Selbstisolation – das ist „Atlas der abgelegenen Inseln: Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde“ von Judith Schalansky. Jede Insel wird mit einer Erzählung und einer topografischen Karte vorgestellt. Und bei 50 Inseln kommt dabei ein beachtliches Sammelsurium aus Schiffsbrüchigen, Himmelsphänomenen, Inselfauna, Forschungsstationen und Kannibalen zusammen.

Da beschränkt man das Reisen doch lieber auf die Fantasie und mit dem Finger auf der Landkarte. Fast schon tröstlich ist die Feststellung, dass noch die letzte Ödnis mit der richtigen Erzählerin eine Geschichte zu bieten hat.

Der Atlas gewann für seine schöne Gestaltung gleich mehrere Auszeichnungen. Zugegeben, der Hardcover Preis von 34 Euro ist angemessen, aber für Studierende etwas happig. Wer eine Ausrede brauchte um den lokalen Lieblingsbuchhandlung zu unterstützen, liegt mit diesem Sachbuch aber genau richtig.

Elena Ferrante: “Meine brilliante Freundin”

“Meine brillante Freundin” von Elena Ferrante ist der erste Band in der Neapolitanischen Tetralogie. Beschrieben wird der Beginn der 60 Jahre spannende Freundschaft zwischen Lila und Elena im Neapel der Nachkriegszeit. Es ist auch die Chronik ihres ärmlichen Viertels und seiner Bewohner.

Andere Bücher würden sich im Lebensabschnitt der Kindheit und Jugend schnell auf ein Schicksal für ihre Figuren festlegen: Glück oder Unglück. So einfach macht es sich die Autorin in “Meine brillante Freundin” nicht. Die Realität des Lebens der Charaktere ist unnachgiebiger, die Figurenpsychologie nuancierter, ungeschönt und spannend.

Die Beziehung zwischen den beiden Frauen ist so brisant, wie man sie aus dem echten Leben von Freundinnen kennt, aber selbst bei Liebespaaren in der Literatur nur selten findet. Und da die Tetralogie als moderner Klassiker gehandelt wird, holen wir damit nicht nur unseren Rückstand in Netflix Serien und Filmen nach.

Juli Zeh: “Unter Leuten”

Weil man, wenn man keine Zeit für ein neues Buch hat, die Story auch in einem Dreiteiler in der ZDF-Mediathek schauen kann.