Dieser Text ist Teil der Themenwoche Rausch & Realität.
Die Möglichkeit, verbotene Betäubungsmittel in der Therapie einzusetzen, klingt faszinierend – das fand auch Dr. Felix Müller, der vor einigen Jahren nach Abschluss seines Medizinstudiums zum ersten Mal über die Einsatzmöglichkeiten von verbotenen Betäubungsmitteln in der Psychotherapie las. Heute ist er in der psychedelischen Forschung am Unispital Basel und den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel tätig.
Es hört sich wie eine Prophezeiung an – die Hoffnung auf langfristig wirksame Behandlungseffekte deutet auf ein beeindruckendes und vielversprechendes therapeutisches Potenzial hin. Jemand, der an einer Depression erkrankt ist, kann etwa durch Halluzinogene positive Gefühle wie Vertrauen und Verbundenheit wahrnehmen. Die Hoffnung ist, dass die Erkrankung durch solche Wahrnehmungen in Kombination mit einer Psychotherapie behandelt werden kann. Schon eine begrenzte Einnahme der psychedelischen Substanzen soll wirksam sein und daher die dauerhafte Anwendung von Arzneimitteln entbehrlich machen. Doch auf welchem Stand befindet sich die aktuelle Wissenschaft? Ist eine praktische Anwendung realistisch?
LSD – in der Langform Lysergsäurediethylamid – wurde schon vor über 75 Jahren durch den Schweizer Chemiker Albert Hofmann entdeckt. Es ist ein sogenanntes Halluzinogen und wirkt sich im menschlichen Körper auf die Serotonin-Rezeptoren im Gehirn aus. Dies führt zu veränderten Wahrnehmungen und Bewusstseinserweiterungen.
Da sich LSD nach seiner Entdeckung verbreitete und immer unkontrollierter konsumiert wurde, wurde die Droge in den 60er-Jahren schließlich in den meisten Ländern verboten. Mit der Illegalisierung wurde allerdings auch die Forschung eingestellt. Erst in den 90er-Jahren wurde zunächst in Zürich die wissenschaftliche Forschung wieder aufgenommen.
Das Interesse an der Forschung mit Halluzinogenen – darunter auch LSD – stieg sprunghaft an, nachdem die John Hopkins University 2006 eine Studie mit Psilocybin veröffentlichte. Bei dieser Studie wurde an 36 psychisch gesunden Freiwilligen die Wirkung der Substanz im Vergleich mit Methylphenidat-Hydorchlorid, bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin, untersucht. Im Ergebnis berichteten die Proband*innen zwei Monate nach der Einnahme von Psilocybin überwiegend von einer positiveren Einstellung und Verhaltensweise und stuften die psychedelische Erfahrung als eines der fünf bedeutsamsten Erlebnisse ihres Lebens ein. An einigen Orten auf der ganzen Welt gibt es seitdem systematische placebokontrollierte Studien.
LSD im Klinikzimmer
Dr. Müller hat in Basel 2013 mit der LSD-Forschung begonnen. Damals sei die erste Phase der Studie mit gesunden Proband*innen durchgeführt worden, erzählt der Mediziner. So konnten grundlegende Wirkungen, Nebenwirkungen und Erlebnisse untersucht werden.
Aktuell läuft eine Studie mit Patient*innen, die an Depressionen leiden. Den Teilnehmer*innen in der Verumgruppe wird dabei zweimalig LSD mit einer Dosis von 100 und 200 Mikrogramm verabreicht, sagt Dr. Müller. Im Anschluss werde geschaut, ob sich die Symptome der Erkrankungen reduziert haben.
Auch wenn es als gesichert gelte, dass LSD nicht körperlich abhängig macht und auch eine psychische Abhängigkeit sehr selten vorkommt, seien Gefahren und Risiken der Forschung vorhanden und dürfen nicht vernachlässigt werden, betont Dr. Müller. Die Droge ist kein Selbstläufer und Allheilmittel: „Die Einnahme von LSD kann durchaus negative Erlebnisse hervorrufen, deren Verarbeitung schwierig und langwierig sein kann“ Darüber hinaus könne es auch zu einer gewissen Destabilisierung führen, insbesondere bei Menschen mit Risikofaktoren für psychotische oder bipolare Erkrankungen. Um mögliche Risiken zu minimieren, werden die Studienteilnehmer*innen in Vorgesprächen sorgfältig untersucht. Dies gelingt jedenfalls im klinischen Setting, sodass es bisher zu keinen ernsthaft problematischen Fällen gekommen ist.
Für Dr. Müller überwiegt nach bisherigem Kenntnisstand der Nutzen der therapeutischen Verwendung von Halluzinogenen. Doch wie lässt sich das erklären? Hier seien sich die Forscher*innen noch uneinig. „Es könnte sich um einen psychologischen Mechanismus handeln“, vermutet Dr. Müller. Die Einnahme von LSD rufe bestimmte subjektive Erlebnisse und Gefühle hervor, welche die Sicht auf die Welt und das Leben verändere. Mit den veränderten Ansichten könne die Symptombesserung einhergehen.
Behandlung mit Sondergenehmigung
Der Einsatz von LSD als Therapiemethode ist allerdings in der Schweiz noch nicht erlaubt. Die einzige Ausnahme bieten sogenannte Compassionate-Use-Behandlungen. Die Voraussetzung hierfür ist, dass die zuvor angewandten, herkömmlichen Therapien nicht erfolgreich waren. Dann kann von der Behörde eine Genehmigung erteilt werden, welche den Einsatz der illegalen Droge ermöglicht. Die Verwendung von LSD erfolgt bei ganz unterschiedlichen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, aber auch bei Persönlichkeitsstörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Die Nachfrage sei groß, der tatsächliche Umfang der beantragten und genehmigten Therapien allerdings überschaubar, sagt Dr. Müller. Sein Eindruck: Compassionate-Use-Behandlungen funktionieren.
Hoffnung auf Langzeiteffekte
Wissenslücken seien beim Einsatz von LSD aber noch einige vorhanden, sagt Dr. Müller. Offen bleiben insbesondere die Fragen, bei welchen Erkrankungen und bei wie vielen Erkrankten die Therapie tatsächlich erfolgversprechend sei. Darüber hinaus sei weiter zu erforschen, wie lange die positiven Effekte anhalten – denn insbesondere bei Langzeiterfolgen zur Behandlung von Angsterkrankungen und Depressionen sowie auch Abhängigkeitserkrankungen bestehe eine große therapeutische Lücke bei einer Behandlung mit herkömmlichen Arzneimitteln: Die Behandlungen sind nur teilweise erfolgreich und Medikamente, die bisher in der Praxis zum Einsatz kommen, erfordern eine regelmäßige, kontinuierliche Einnahme. Die Hoffnung ist, dass bei LSD bereits einige begrenzte Einzelgaben zu positiven Langzeiteffekten führt und diese Lücke füllen kann.
Genau hierzu forschen Dr. Müller und viele weitere Wissenschaftler*innen. Je nachdem, zu welchen Resultaten sie gelangen, ist eine Zulassung von LSD für die Behandlung von psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel Angststörungen und Depressionen in der Zukunft vorstellbar. Für Dr. Müller ist das in etwa acht Jahren denkbar. Seine Zuversicht zieht er aus einem ähnlichen Halluzinogen – für Psilocybin läuft bereits jetzt eine große Marktzulassungsstudie in Europa und den USA.