Esoterik ist ein Begriff, der sich schwer definieren lässt. Er sei ein Containerbegriff für etwas, das nicht greifbar sei, sagt Dr. Ina Schmied-Knittel vom Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V. (IGPP) in Freiburg. Auch die Psychologin Luisa Heizmann von ZEBRA BW, einer Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen in Freiburg die unter anderem zu Esoterik berät, sagt: „Esoterik ist ein Sammelbegriff, ein großer Topf, in dem viele Themen drin sind. Dazu gehören beispielsweise Okkultismus, Astrologie, Energiearbeit, Chakren, Reinkarnation.“ Esoterik wartet mit alternativen Angeboten auf, die sowohl religiöse und gesellschaftliche Aspekte als auch Wissensfragen abdecken, sagt Dr. Ina Schmied-Knittel.

Das Spectrum-Magazin definiert Esoterik in seinem Lexikon wie folgt: „Esoterisch heißt ‚nach innen gerichtet‘, eine Denkrichtung mit vielen verschiedenen, nicht selten asiatisch-fernöstlichen Einzeltechniken, deren Inhalte erst im Anschluss an eine besondere Vorbereitung ersichtlich sind. Daher kann sie auch ausschließlich von Eingeweihten erschlossen werden.“

Ursprünglich bezeichnete Esoterik eine Geheimlehre, sagt Dipl.-Psych. Wolfgang Fach ebenfalls vom IGPP, die ernsthaft betrieben wurde. In der jetzigen Zeit habe sich das Wort zunehmend zu einem negativen Begriff gewandelt.

Dr. Schmied-Knittel sieht Esoterik im Alltag als etwas, das weder religiös noch wissenschaftlich ist. Aus einer religionswissenschaftlichen oder aus einer historischen Warte werde Esoterik als etwas Zurückgewiesenes oder als einen nicht wissenschaftlich anerkannten Wissensbestand definiert. Luisa Heizmann sieht die Gemeinsamkeit der Esoterikauslegungen in dem Ziel, spirituelle Erleuchtung oder Zugang zu verborgenem Wissen zu erhalten.

Esoterik kann Halt geben

Gerade in Krisenzeiten suchen Menschen Halt und wenn nichts Greifbares mehr verfügbar scheint, dann könne Esoterik Hoffnung oder Geborgenheit vermitteln, sagt Wolfgang Fach. Der Zulauf zu Esoterik sei allerdings nichts Neues. Durch das Internet habe sich aber die Sichtbarkeit verändert. „In diesem Angebot scheint etwas enthalten zu sein, das für die Menschen eine Befriedigung oder eine Erfüllung von Bedürfnissen mit sich bringt.“

Den Reiz für die Praktizierenden sieht Luisa Heizmann darin, dass Esoterik ein Sinngefühl geben könne. Ebenso biete sie eine Plattform, auf der sich Menschen austauschen können und Gemeinschaften entstehen. Doch wie kann Esoterik in Krisensituationen funktionieren? „Für manche Menschen kann es hilfreich sein, sich der Esoterik zuzuwenden, weil dort ein holistisches, also ein ganzheitliches, Weltbild aufgenommen wird.“ Kritisch betrachtet könne man auch sagen, dass vereinfachte Antworten gegeben werden, sagt die Psychologin.

In Krisenzeiten können esoterische Erklärungen aber durchaus Trost spenden. Zusätzlich sei Esoterik symbolkräftig und nutze Rituale. Diese Rituale können Personen das Gefühl vermitteln, das eigene Schicksal beeinflussen zu können und die empfundene Verunsicherung durch die Komplexität von Krisen, wie der Corona-Pandemie oder dem Klimawandel, zu verringern. Beispielsweise werden die Motive der Blume-des-Lebens verwendet, um Räume spirituell zu schützen. Techniken wie Yoga und Meditation werden auch außerhalb des Esoterik-Bereichs im Umgang mit Stress genutzt.

In England gehe die Anwendung von esoterischen Angeboten darüber hinaus, sagt Wolfgang Fach. Dort werde zum Beispiel in Krankenhäusern ergänzend zur Schulmedizin Geistheilung eingesetzt. Die Heiler*innen würden mit Mediziner*innen zusammenarbeiten und dabei ethische Standards einhalten.

Auch die Psychotherapie in Deutschland sei gegenüber den Themen Religiosität und Spiritualität offener geworden. Dahingehende Überzeugungen würden mittlerweile als Ressource betrachtet, durch deren Einbindung die Heilung beschleunigt werden könne. Generell sei das esoterische Hilfsangebot in einer Befragung der Nutzer*innen im Vergleich mit konventioneller und psychologischer Hilfe gut bewertet worden. Die Gründe dafür liegen in „einem besseren Beziehungsangebot“, sagt Dipl.-Psych. Fach. Das Gefühl verstanden zu werden sei größer und die eingeräumte Zeit länger.

Ein*e seriöse Anbieter*in könne bei persönlichen Krisen hilfreich sein, sagt Luisa Heizmann. Diese*r würde seine*ihre Kompetenzgrenzen klar vermitteln und bei Bedarf weiterverweisen. Im besten Fall könne ein*e solche*r Anbieter*in den Menschen das Gefühl geben, nicht allein zu sein und sich jemandem anvertrauen zu können. Bei der Suche nach Unterstützung gebe es aber auch Risikofaktoren, auf die man achten solle: Ein hoher Druck auf die Ratsuchenden, die Behandlung fortzuführen, eine starke Problemfokussierung und die Schaffung von Abhängigkeiten durch den*die Anbieter*in.

Negative Auswirkungen sind möglich, aber individuell zu betrachten

Wie sich Esoterikglaube auf das Erleben von Krisen auswirke, müsse individuell betrachtet werden, sagt Luisa Heizmann. Er könne Menschen helfen, „eine gesunde Abschirmung“ von äußeren Krisen zu bewirken. Gleichzeitig könne es aber im Extremfall auch zu einer zu starken Abwendung von weltlichen Problemen und dem Verfall in magisches Denken kommen. Dadurch verliere man die Chance, für eine tatsächliche Veränderung zu sorgen. Heizmann betont, dass eine Krisensituation aber nicht bedeute, sich automatisch der Esoterik zuzuwenden.

Wie anfällig Menschen für problematische Bereiche der Esoterik – wie die “rechte Esoterik” – seien, hänge von individuellen Faktoren ab. Dabei spielen beispielsweise die eigenen Erfahrungen, Überzeugungen und der kulturelle Hintergrund eine Rolle. Warum sich jemand für ein Angebot entscheide, sei abhängig vom emotionalen Empfinden: „Wenn es mir nicht gut geht, suche ich nach Möglichkeiten, dass es mir besser geht und da kommt es auch darauf an, in was für einer Situation ich was finde“, sagt Luisa Heizmann.

Ina Schmied-Knittel weist auf die Gefahr hin, dass sich Menschen durch die Hinwendung zu diesen Angeboten anderen Zugängen verschließen können, seien es andere Meinungen oder medizinische Behandlungen. Luisa Heizmann nennt das Beispiel einer Person in einer akuten psychischen Krise, die etwa eine Depression entwickelt habe und versuche, sich allein mit einem esoterischen Angebot zu helfen. Das könne das Aufsuchen einer adäquat qualifizierten Stelle behindern. Diese negativen Seiten seien von jeher ein Problem, sagt auch Psychologe Fach. Beispielsweise wenn Menschen vermittelt werde, Krankheit als eine Chance zu begreifen, nach der Bedeutung der Krankheit gesucht oder von einer Operation abgeraten werde.

„Manche Menschen lehnen die Methoden oder die Therapieangebote der klassischen Schulmedizin ab und greifen auf andere Bereiche zurück. Beispielsweise, wenn man bei einer Krebsbehandlung davon ausgeht, man müsse sich einfach spirituell weiterentwickeln und dann kann man das innerpsychisch lösen. Das ist natürlich sehr gefährlich und kann bis zum Tod führen“, warnt Luisa Heizmann. Erschwerend komme hinzu, dass eine rechtliche Regulierung bei den Angeboten fehle, da die Verfahren der Esoterik-Anbieter*innen nicht einheitlich seien. So fänden sich beispielsweise bei der Schweigepflicht oder dem Umgang mit dem Datenschutz keine gemeinsamen Standards. Deshalb sei es wichtig, dass die Anbieter*innen ihre Grenzen kennen.

Wichtig sei auch, den finanziellen Aspekt der Esoterik-Industrie zu bedenken, sagt Luisa Heizmann. Deutschlandweit werden schätzungsweise 10 bis 25 Milliarden Euro an Umsätzen im esoterischen Bereich erzielt. „Esoterik ist längst nicht mehr ein Nischenbereich. Viele Mainstream-Firmen sind auf diesen Zweig aufgesprungen.“ Oft werde das Versprechen gemacht, wenn man dieses und jenes Produkt kaufe, dann gehe es einem besser.

Probleme können jedoch nicht nur beim Praktizieren von Esoterik auftreten, sondern auch in Form von Gruppierungen. Die „rechte Esoterik“ sei ein Stichwort, das neuerdings häufiger falle, sagt Luisa Heizmann. Es sei gefährlich, wenn sich spirituelle Überzeugungen und rechtsextremistische Ideologien, die Menschen verachtend seien, vermischen.

Ein Beispiel dazu nennt Wolfgang Fach: Beim germanischen Heidentum gibt es eine Anbindung zu alten Gottheiten. Dabei spielen auch religiös spirituelle Vorstellungen eine Rolle, die aber mit arischen Herrenrassen-Ideologien verknüpft seien. Laut Luisa Heizmann, geschehe so eine Vermischung von spirituellen Überzeugungen mit rechtsextremistischen Ideologien oft unter einem nicht sofort ersichtlichen Deckmantel. Dadurch wenden sich Menschen diesen Kreisen in einem fließenden Übergang zu, obwohl sie die Einstellungen prinzipiell nicht teilen. Schlussendlich könne das in einem Rabbit-Hole-Effekt münden. Wolfgang Fach betont, dass die Esoterik-Szene keine rechte Szene sei. Sie habe sich mehr individualisiert, aber sei nach wie vor eher weltoffen.

Das Maß zählt

Luisa Heizmann rät bei der Suche nach einer*m serösen Anbieter*in zu einer guten Mischung aus Kopf- und Bauchgefühl. Bekomme man den Eindruck, etwas würde in eine beunruhigende Richtung gehen, solle man die Situation mit anderen Sichtweisen abgleichen und sich mit anderen Personen austauschen. Wenn die Möglichkeiten zur Problembewältigung kleiner werden, sei das nicht gesund. Mehrere Optionen zur Problemlösung zu haben, sei immer hilfreich.

„Grundsätzlich ist eine Verteufelung esoterischer Angebote genauso schwierig wie eine Verharmlosung. Da muss man ein Maß finden“, sagt Dr. Ina Schmied-Knittel. Der Esoterik müsse konstruktiv begegnet werden. Sie enthalte hilfreiche Aspekte wie Resilienz und die Möglichkeit zur therapeutischen Einbindung.

Esoterik könne für Menschen mit einem Zugang dazu, allein oder als eine sinnvolle Ergänzung, bei konkreten Problemen genutzt werden, sagt auch Luisa Heizmann. Dass dies funktionieren kann, zeigt sich beispielsweise in England. Ebenso kann ein*e seriöse*r Anbieter*in als erste Anlaufstelle helfen, wenn die Grenzen der eigenen Möglichkeiten berücksichtigt werden. Wichtig sei, dass esoterische Angebote generell „aus dem Wunsch nach Veränderung und nicht aus der Not heraus“ genutzt werden.