Tinder-Fotos und „Post-Sex-Selfies“

Stefanie Sturm hat ihren Bachelor in Linguistik an der Uni Freiburg gemacht. Derzeit veröffentlicht sie ihre journalistischen und literarischen Texte beispielsweise bei fudder und in der aktuellen Freiburg Review.

Stefanie, Selfies haben ja immer noch einen schlechten Ruf. Was glaubst du, woher der kommt?
Ich glaube, dass die Menschen versuchen wollen so zu tun, als ob sie sich nicht extra dafür schön machen müssten. Etwa viel Make-up tragen oder Übungen machen, damit der Arsch gut aussieht und so weiter. Man schämt sich ein bisschen dafür, dass man schön sein will, glaube ich.

Wie stellst du dich in Selfies selbst dar?
Ganz viele von meinen Freunden haben jetzt Tinder. Bei Tinder zählt, anders als bei Facebook, jedes Detail auf einem Foto. Das ist eine zugespitzte Selbstdarstellung in einem einzigen Bild. Und es geht ja auch darum, zu sagen, das bin ich und wenn du diese Person magst, dann solltest du jetzt nach rechts swipen. Ich wüsste nicht, wie ich mich darstellen sollte.

Gibt es eine Grenze, die du selbst setzt?
Ja, zum Beispiel wenn eine Person, die ich kenne, halbnackt mit ihrem Freund zu sehen ist. Da denke ich mir, „Post-Sex-Selfie“, das ist irgendwie peinlich.

Welche Folgen und Möglichkeiten siehst du durch die Selbstdarstellung im Netz?
Früher haben Paparazzi oder Fotografen Fotos gemacht und über Celebrities berichtet. Die Medien waren ein Feind.

Jetzt sind die Medien mehr von den Leuten gemacht über die berichtet wird oder die über sich selbst berichten. Dabei werden auch Leute, die überhaupt nicht berühmt sind, auf das selbe Level gehoben. Man kann genauso viel herausfinden über irgendjemanden, der überhaupt nicht bekannt ist wie zum Beispiel über Beyoncé. Das ist lustig, weil es ein bisschen demokratisch ist. Ich finde das eigentlich schön: Alle können alles machen.

Das vollständige Interview gibt es hier.

 

Selfies als Selbstentwertung?

Prof. Natascha Adamowsky (Mitte) vom Institut für Medienkulturwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg forscht über die Selfiegeneration. Dies sind ihre Kernaussagen.

Selbstinszenierung ist die Währung unserer Gesellschaft.
Jeder von uns wird angehalten, sich zu inszenieren und zu verkaufen und ein Bild von sich zu produzieren.

Ein Selfie ist ein Selfie ist ein Selfie.
Ein Selfie ist keine Kunst.

Menschen möchten dazugehören und geschätzt werden.
Das ist der dringende Wunsch, sich zu verbinden, Kontakt zu haben, Teil einer Community zu werden.

Selbstinszenierung als Gesellschaftsspiel?

 

Selfies – die gab’s schon immer, kommentiert uniONLINE-Redakteurin Samantha.

Ich bin mir sicher: Hätten Staatsoberhäupter und Hochadel einen Selfiestick besessen, würden heute Napoleon mit Duckface, Kaiserin Sissi mit Kussmundpose und Bismarck im Badezimmerselfie an den Wänden unseren Museen hängen.

Wir missbrauchen unsere Freunde als Groupies, um unser Selbstbewusstsein aufzupolieren. Vielleicht ein Grund dafür, in Zukunft noch einmal über das ein oder andere Selfie nachzudenken, das zeigen soll, wie viel aufregender und schöner unser Leben im Vergleich zu dem der Anderen ist.

Wir schüren damit nämlich ausgerechnet bei jenen Personen Neid und Selbstzweifel, die uns sonst Halt geben und auch ohne schönenden Filter akzeptieren.

Den vollständigen Kommentar von Samantha gibt es hier.

 

„Intensivstation“ – ein Inszenierungsmarathon?

 

 

Unser Redakteur Sebastian nimmt an dem gleichnamigen Projekt des Jungen Theaters Freiburg teil, bei dem Laienschauspieler 24 Stunden Zeit haben, ein Stück zu inszenieren und anschließend aufzuführen.

 

Ich denke, dabei werden Sachen verarbeitet, die eigentlich schon seit zwanzig Jahren mit dem Psychiater besprochen werden sollten. Bei der „Intensivstation“ kann alles passieren und ich glaube, dass ich über die Anderen und über mich ein bisschen was lernen werde. Ich bin sehr gespannt.

24 Stunden sind 1440 Minuten – Der Liveticker
aus dem Theater geschrieben von Simeon von uniFM

 

Der Countdown läuft, der Werkraum im Theater wird in Nebel gehüllt. Den gesamten Liveticker findet ihr auf Facebook

Die Highlights des Livetickers:

19:00 - 00:00 Uhr

19.00 Uhr: Start. Die sechzehn Menschen, die sich nicht kennen und Theater spielen wollen, betreten den Raum. Und Sebastian ist dabei.

19.08 Uhr: „Wer bin ich und wer will ich sein?“ Und wer bist eigentlich du? Kennlernen mal anders. Einzig der Name ist bekannt, der Rest wird dazu gedichtet. Sebastian studiert jetzt Geschichte und kommt aus einer großen Stadt und hat definitiv eine Freundin!

20.58 Uhr: Das Thema steht jetzt fest: „Als gäbe es kein morgen“. Die Intensivstationauten sind heiß, sie wollen raus in die Welt, Aufgaben lösen. Bis Mitternacht haben sie jetzt Zeit, die ersten Ergebnisse zu präsentieren.

0.00 Uhr: Geisterstunde! Aber den Eindruck habe ich nicht bei den Intensivstationauten. Reger chit-chat, „Und? Ihr so?“ „Ja, genau!“ Da geht es schnell mal von der theoretischen Endlichkeit zur praktisch letzten Party des Lebens.

00:00 - 06:00 Uhr

0.24 Uhr: Achtung, Achtung, wichtige Durchsage! Um 3.00 Uhr (in Worten: Drei Uhr) ist die erste Probe angesetzt. Berechtigte Reaktion: „Was proben wir denn?“ Gute Frage, wir werden es sehen.

0.44 Uhr: O-Ton von Sebastian:
Ich: „Sebi, was würden deine Freunde über dich sagen, wenn sie dich jetzt, hier sehen könnten?“
Sebi: „Er sieht nachdenklicher aus.“

2.38 Uhr: Ich habe Sebastian die Frage gestellt: Ist die Gruppe sie selbst oder versucht sie etwas anderes zu sein? Seine Antwort: „Mehr sie selbst tatsächlich, auch am Anfang da wurde nicht pretendet. Ich weiß nicht, wir sind Leute, richtige Persönlichkeiten, wir haben uns direkt ausgetauscht. Ich finde es gut, super Truppe.“

3.59 Uhr: Gruppenhangover während der Probe, alle bisschen groggy, da kann man schon mal einschlafen.

5.27 Uhr Erste Ergebnisse:Zu den Erkenntnissen des bisherigen Abends: Natürlich spielt Selbstdarstellung und der Drang sich zu zeigen eine Rolle – um hier überhaupt teilzunehmen – aber in dieser Konstellation und unter den Bedingungen des Projekts ist das gar nicht leicht bzw. möglich. Hier herrschen flache Hierarchien. Die Intensivstation ist eher ein Zufluchtsraum, ein Raum, in dem der Alltag keine Rolle spielt. Ein Raum, in dem jeder eigentlich so sein kann, wie er sein will. Dann ist aber die Realität und nicht die Bühne der Ort der Selbstdarstellung und -inszenierung. Spannend! Genauso spannend ist es, die Gruppe zu beobachten, wie sie sich durch Kennenlernen verändert und das Zusammenwachsen zu ersten, leichten, feinen Reibereien führt. Mal schauen, wie das nachher – völlig übernächtigt – wird.

06:00 - 21:00 Uhr

9.17 Uhr: Pauken und Trompeten, da wachen auch die letzten Schlafmützen auf. Die energische Frau Mioshy führt der Truppe in japanische Radiogymnastik ein. Die Intensivstationauten proben eine Choreografie ein, ob sie die heute Abend brauchen?

11.15 Uhr: Die Regisseure: „Wir wollen die Gruppe an die Grenzen der Unmöglichkeit locken. Die Rahmenbedingungen sind in einem 24h-Projekt gegeben. Jetzt wollen wir sie so weit wie möglich über ihre ich-kann-das-nicht-Grenze führen.“

14.21 Uhr: Vorprobe, maximale Stille. Müdigkeit und Konzentration. Die Frage ist nun, wie machen wir da ein Stück draus? Keiner will jetzt woanders sein, es gilt und sogar der Sitzkreis sieht jetzt aus wie ein Kreis.

18.24 Uhr: Die Welt steht still, kurz vor der Performance.

19.03 Uhr: Es geht los, das Publikum strömt ins Haus, die Stationauten sind auf Position. Uuuuuh. Der Werkraum platzt aus allen Nähten! Murmel, Murmel. Das Spiel beginnt.

20.13 Uhr: Tja, 24 Stunden sind kein Tag, muss irgendwie weniger sein. Jetzt ist es nämlich schon wieder vorbei. Was für eine Leistung! Großartig. Ich mach Schluss, ich bin traurig! Nein, kleiner Spaß. Ich bin gar nicht traurig. Aber eine wirklich tolle Leistung der Stationauten und der Regisseure. Ein toller kein-Tag. INTENSIV

Was noch alles in den 24 Stunden Intensivstation passiert ist, könnt Ihr auf Facebook nachlesen.
Die gesamte Vorstellung gibt es demnächst hier.

Die Sehnsucht gestillt

 

 

Sebastian blickt auf das Theaterprojekt zurück.

Ich habe lange überlegt, ob ich in die Theaterrichtung gehen soll und ich habe immer diese Sehnsucht in mir gehabt, sowas mal zu machen und wirklich auf einer Theaterbühne zu stehen.

Diese Sehnsucht, die ich immer hatte, die ist total befriedigt. Ich habe tatsächlich durch diese Erfahrung, mit diesem Wunsch abgeschlossen das als Lebensunterhalt zu machen. Ich bin total trunken vor Glück, dass dieser Dorn in meinem Kopf jetzt geflippt ist.

Unser Fazit

Wer bin ich und wer kann ich sein? Hier liegt der große Vorteil des Selfies: Niemand stört bei der Selbstinszenierung. Die größte Freiheit bietet dabei das Internet.

Sind Personen um uns herum, ist das schon anders. Bei der Inszenierung in einer Gruppe korrigieren die anderen. Die „Intensivstation“ im Theater hat das gezeigt.

Und im Alltag? Hier halten wir ein Bild von uns aufrecht, das bei den anderen hoffentlich ankommt. Und ein bisschen „Selfie“ ist bei jeder und jedem dabei.