Sich zum Stricken im Freien treffen und gemeinsames Essen teilen: das ist das Motto des sogenannten Strick-Nicks. An einem sonnigen Sonntag haben wir Strickbegeisterte im Freiburger Stadtgarten begleitet. Und uns gefragt: Wieso wirkt sich ein buntes Wollknäuel auf das Wohlbefinden aus?

„Wissen Sie, dass der Blutdruck durch das Stricken sinkt?“, fragt Christiane lächelnd. Am Sonntagvormittag gehört die Handarbeitslehrerin zu den Strickbegeisterten, die im Freiburger Stadtgarten beim Strick-Nick miteinander Maschen machen. Jung und alt stricken Socken, Schal, Pullover, Pulswärmer. „Stricken hilft mir, mich zu konzentrieren“, meint Christiane. Als Lehrerin an der Freien Schule Elztal erinnert sie die Eltern regelmäßig an die positiven Auswirkungen des Strickens auf die Entwicklung der Kinder.

Stricken fördert die physische Gesundheit

Das ist wissenschaftlich belegt: Aktivitäten wie Stricken fördern die Bildung verschiedener neuronaler Verbindungen im Gehirn. So gibt es in wissenschaftlichen Studien Hinweise, dass Stricken bei der Vorbeugung von Demenz und Alzheimer helfen kann. Außerdem senke der fast meditative Aspekt des Strickens den Cortisolspiegel und damit den Blutdruck. Die gleichförmige Bewegung beim Stricken könne auch Arthrose und Sehnenentzündung verhindern, meinen Experten. Die Gelenke bleiben beweglich.

Toni hat das heutige Strick-Nick organisiert.
Julius arbeitet an einem Schal. Das Stricken hat er von seiner Mutter gelernt.
Ellen orientiert sich an einem bunten Strickmuster von Strickdesigner Stephen West aus Amsterdam.
Beim Strick-Nick treffen sich Strickbegeisterte, unabhängig von Alter oder Leistungsniveau.
Toni hat das heutige Strick-Nick organisiert.
Julius arbeitet an einem Schal. Das Stricken hat er von seiner Mutter gelernt.
Ellen orientiert sich an einem bunten Strickmuster von Strickdesigner Stephen West aus Amsterdam.
Ellen beim Strick-Nick im Freiburger Stadtgarten.
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Stricken fürs Wohlbefinden

Auch „für die Seele“ tut Stricken gut, meint Lidya, die neben Christiane im Strickkreis sitzt. Ihr hilft es, wenn sie sich nicht wohl fühlt. Und anderen geht es auch so. Kreativ sein kann glücklich machen, so eine im Mai 2019 von der BBC veröffentlichte Umfrage in Zusammenarbeit mit dem University College London. Dabei gaben mehr als drei Viertel der fast 50.000 Befragten an, Kreativität könne dabei helfen, Stress und Ängste zu mildern.

„Es kommt etwas raus, etwas Individuelles, etwas, was niemand anders hat.“
Ellen, Freiburgerin und Strickbegeisterte

Stolz auf ein selbstgemachtes Produkt, gemeinsam stricken, sich treffen und unterhalten und gemeinsam essen. Das wirkt sich auf die Seele positiv aus. „Man tauscht Erfahrungen aus und kann sich gegenseitig helfen“, so Toni, die Initiatorin des Strick-Nicks. Das Schöne sei „die gegenseitige Inspiration“, fügt Ellen hinzu.

Wolle und Tierwohl: Ist das vereinbar?

Ohne Tiere, keine Wolle…oder? Es gibt Wolle von Tieren (Angoraziege, Merinoschaf, Alpaka, Lama, Angorakaninchen, Kaschmirziegen, Yak, Kamel…). Und es gibt synthetische Wolle aus Erdöl hergestellt, darunter Polyester, Acryl, Nylon oder Elasthan.

Bei einigen Tieren mit stetigem Haarwachstum wie Alpakas, Schafen oder Ziegen ist das Scheren notwendig. Damit soll Parasitenbefall durch Zecken und Läuse verhindert werden. Dichtes Fell bedeutet auch mehr Gewicht für die Tiere, sie können sich damit schlechter bewegen und ihre Körpertemperatur weniger regulieren. Die Tiere sollten idealerweise im Frühling geschoren werden.

Bei der Massentierhaltung wird das oft nicht berücksichtigt. Die meiste Schurwolle kommt aus Australien. Von dort werden regelmäßig Misshandlungen von Schafen gemeldet. Diese beginnen sogar vor dem Scheren, mit dem Schneiden des Schwanzes und breiter Hautstreifen auf dem Hinterteil der Tiere zur Bekämpfung von Schädlingen („mulesing“) – was in Neuseeland schon verboten wurde. Für die Herstellung von Angorawolle geht es Kaninchen nicht besser: In China verbringen die Kaninchen ihr Leben in winzigen Gitterkäfigen, verlassen sie nur drei- bis viermal im Jahr fürs Scheren. Während des schnellen Scherens werden die Tiere oft von Rasierapparaten gehäutet. Auch Ziegen bilden da keine Ausnahme: Im Jahr 2018 enthüllte eine von PETA (People for the Ethical Treatment of Animals) Asia geführte Recherche schwere Misshandlungen von Angoraziegen in Südafrika. Von dort kommt die meiste Mohairwolle. Nach Bekanntwerden dieser Studie verkündeten unter anderem die Fast-Fashion-Marken Gap, Zara und H&M ihre Entscheidung, auf Mohairwolle zu verzichten.

Alpakawolle vom Hotzenwaldhof

Solche Wolle wird auf dem Alpakahof von Andreas Kern und Trudi Wolli in Görwihl im Hotzenwald hergestellt. 15 Alpakas leben dort. Im Video lässt sich Alida von uniCROSS zeigen, wie Alpaka Lana geschoren wird und wie ihr Fließ weiterverarbeitet wird.

Künstliche Wolle: Wird die Welt besser durch PVC?

Das in der Textilindustrie am häufigsten verwendete Material ist nach wie vor Polyester. Wolle aus Kunststoff erspart die Tierhaltung – bedeutet aber eine hohe Umweltbelastung. Denn die Herstellung synthetischer Wolle erfordert nicht nur eine beträchtliche Menge an Wasser. Sie basiert auf Erdöl, einem nicht-erneuerbaren Rohstoff. Die großen Ölkonzerne möchten über unkonventionelle Quellen Zugang zu Öl finden: Dafür werden Regenwälder gerodet. Bei der Aufbereitung gelangen giftige Flüssigkeiten in Flüsse und ins Grundwasser. Pflanzen und Tiere nehmen sie auf, bevor sie schließlich in unseren Nahrungsmitteln landen. Im Jahr 2016 enthüllte eine Studie, wie gefährlich synthetische Wolle für Ökosysteme ist. Die Fasern geben beim Waschen nämlich Mikroplastik in die Umwelt ab. Hinzu kommt die CO2-Belastung durch den Transport der Wolle, die überwiegend aus Asien kommt.

Umweltschutz und Tierschutz miteinander verbinden

43% Polyacryl, 41% Polyester, 9% Polyamid, 7% Wolle: das können die Bestandteile eines Wollknäuels sein. Etwas teurer ist Wolle aus 35% Alpaka, 35% Mohair, 25% Schurwolle (Merino) und 5% Polyestergarn. Wollmischungen sollten aber vermieden werden: Ihre Wiederverwertung ist zwar nicht unmöglich, aber viel komplizierter als bei sortenreiner Wolle. Wenn alle Stricke reißen, ist es vielleicht die beste Option, den von Oma gestrickten bunten Pullover aufzuribbeln. Oder eben nachhaltige Wolle, mit klarer Herkunft: Zum Strick-Nick hat sich beispielsweise Christiane für Alpakawolle aus der Region entschieden.

Alpakas auf einer Weide in Görwihl
Alpaka Lana wird vor dem Scheren fixiert. Das erspart ihr die Vollnarkose.
Alpaka Lana ist frisch geschoren
Alpakas vom Hotzenwaldhof
Alpakas auf einer Weide in Görwihl
Alpaka Lana wird vor dem Scheren fixiert. Das erspart ihr die Vollnarkose.
Alpaka Lana ist frisch geschoren und darf wieder auf die Weide.
Alpakas vom Hotzenwaldhof
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Stricken: Zum Wohl des Geldbeutels?

Wer in der Region hergestellte Wolle möchte, kann zum Beispiel im Hotzenwald-Alpakahof Görwihl ein Knäuel aus Alpakawolle für 17 Euro erhalten. Oder ungefärbte Schurwolle aus Baden-Württemberg in Geschäften der Freiburger Innenstadt, für 11,50 Euro pro 100g. Nachfragen nach der Herkunft ist sinnvoll. Aber: „Teuer muss es nicht unbedingt sein“, meint Toni, die Initiatorin des Strick-Nicks. Viele Teilnehmer*innen des Strick-Nicks haben ihre Wollknäuel von Familienmitgliedern oder Bekannten erhalten, andere stammen aus Second-Hand-Läden. Lidya stellt sogar ihre Knäuel selbst aus Schafwolle her. Strickmuster gibt es umsonst online oder von Freunden.

Verstrickungen

Stricken verbindet die Menschen. Das haben wir schon beim Strick-Nick gesehen. Die Hintergründe erklärt die Kulturathropologin Lydia Maria Arantes von der Uni Graz.

Nach dieser Reise durch die Welt der Wolle können wir ein Wollknäuel nicht mehr wie vorher betrachten. Und Wolle einkaufen, ohne an das Alpaka Lana zu denken. Ihr kastanienbraun flauschiges Fell werden wir nicht unbedingt zum Stricken verwenden. Aber eines ist sicher: Stricken ist viel mehr als ein einfacher Trend. Das Gemeinschaftliche dahinter haben wir beim Strick-Nick selbst erlebt. Und dieser vierstimmige Beitrag ist teilweise…beim Stricken entstanden.