Für viele Menschen sieht Einsamkeit so aus: Alleine und alt, dann ist auch das bedrückende Gefühl nicht weit. Aber die Realität zeigt ein anderes Bild.

Denn physisches Alleinsein genauso wie soziale Isolation sind nicht mit dem Gefühl der Einsamkeit gleichzusetzen. Bereits 1982 heben die Psycholog*innen Peplau und Perlman in ihrer Definition von Einsamkeit die subjektive Sichtweise der Betroffenen hervor. Konkreter: Wer sich anderen nicht zugehörig fühle, ausgeschlossen oder nicht integriert, könne das Gefühl erleben. Für Dr. Tobias Stächele, Psychologe und Leiter der Psychotherapeutischen Ambulanz für stressbedingte Erkrankungen der Universität Freiburg, braucht es noch einen weiteren Aspekt, damit sich jemand einsam fühlt. Nämlich, „dass der Zustand nicht erwünscht ist und ich eine andere Erwartung an mein Umfeld habe. Dann entsteht Einsamkeit“.

Obwohl der Fokus in Gesprächen zur Einsamkeit häufig auf älteren Menschen liegt, zeigen Studien wie das BBC Loneliness Experiment, dass wir uns alle einmal einsam fühlen – und das nicht erst seit Beginn der Pandemie. Insbesondere junge Menschen haben häufiger mit Einsamkeit zu kämpfen, so gaben 40 Prozent der 16- bis 24-jährigen Teilnehmenden des BBC-Experiments an, sich häufig oder sehr häufig einsam zu fühlen. Bei den über 75-jährigen fiel der Anteil mit 27 Prozent deutlich geringer aus. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung, mit dem Fokus auf der Lage Jugendlicher während der Corona Pandemie, belegt dies. Darin gaben 61 Prozent der Befragten im Alter zwischen 15 und 30 Jahren an, sich teilweise oder dauerhaft einsam zu fühlen. Was also ruft das Gefühl hervor, wenn es nicht am Alter liegt?

Wellen der Einsamkeit

In unserem Leben lassen sich gewisse Wellen der Einsamkeit beobachten, die Gründe dafür sind zahlreich. Beim Umzug zu Studienzeiten, während der Familienplanungsphase oder nach einem Jobverlust: Für Psychologe Dr. Stächele sind es besonders die großen Umbruchphasen des Lebens, in welchen Einsamkeit entstehen könne, „weil Veränderungen äußerlich da sind, die erst bewältigt werden müssen.“ Aus gesellschaftlichen Bezügen herauszufallen aber auch zu realisieren, dass das aufgebaute Leben nicht zu den eigenen Vorstellungen passe, seien häufige Gründe dafür.

Neben anlassbezogenen Situationen könne sich Einsamkeit aber auch im Laufe der Zeit entwickeln. Beispielsweise könne es in einer Partnerschaft, in welcher man sich unverstanden fühle, zu einem inneren Rückzug, einer Vereinsamung kommen, sagt Dr. Stächele. Auch außerhalb einer Partnerschaft kann Einsamkeit mit dem Eindruck nicht gehört zu werden und sich unverstanden zu fühlen zusammenhängen, wie die Bertelsmann Studie gezeigt hat.

So vielfältig wie die Ursachen, sind auch die möglichen Auswege aus der Einsamkeit. Genau genommen gibt es knapp 7,8 Milliarden Möglichkeiten, denn für jeden von uns ist ein anderer Lösungsansatz zielführend.

„Wenn man sich in der Einsamkeit einmal verloren hat, dann hat man erstmal ein Problem“, sagt Student Till, der demnächst einen Vortrag zum Thema Einsamkeit an der Uni Freiburg halten wird, um seine Erfahrungen mit anderen zu teilen. Der Lichtblick: Wie auch bei anderen Problemen, kann es helfen, sich ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die aktuelle Situation kontrolliert und somit auch verändert werden kann.

Ein erster Schritt nach draußen

Ob im Home-Office, Lockdown oder ohne Pandemie: Sind soziale Isolation und Einsamkeit verbunden, sei es wichtig, diese Isolation zu reduzieren. „Das ist ein typisches Muster, wenn ich mich schon einsam fühle, gelingt gar nichts“, sagt Dr. Stächele. Deshalb beziehe sich die erste Aktivität nicht darauf, sofort mit anderen in Kontakt zu treten, sondern überhaupt aktiv zu werden. Dies solle in kleinstmöglichen Schritten geschehen, das bedeutet: Wer nur im Bett liegt, solle als erstes Ziel versuchen aufzustehen.

Die nächste Handlung kann ein Spaziergang sein. Der Schritt nach draußen hat auch Studentin Natascha geholfen: „Der Wechsel zwischen frischer Luft und drinnen bleiben tut gut.“ Selbst wenn man alleine spazieren gehe und dabei anderen Leuten nur über den Weg laufe, helfe das, dass sich die Einsamkeit weniger schlimm anfühle. Auch beim Einkauf rät Dr. Stächele dazu, diesen nicht schnellstmöglich zu erledigen, um wieder die Sicherheit der eigenen Wohnung zu genießen, sondern zwei bis drei Läden aufzusuchen, denn so erhöhen sich Kontaktmöglichkeiten.

Laut dem BBC Loneliness Experiment sind auch Ablenkung oder die intensive Beschäftigung mit Hobbys eine gute Möglichkeit, Gefühlen der Einsamkeit entgegenzuwirken. Für Studentin Natascha zählen dazu beispielsweise Serien, Bücher und Musik, in denen sie sich vertiefen könne, aber auch kreatives Arbeiten, insbesondere das Schreiben, helfe ihr in einsamen Momenten.

Um mehr Kontakt zu anderen zu haben, kann es auch hilfreich sein, ein altes Hobby wiederaufzunehmen, einem Verein beizutreten, eine neue Leidenschaft zu entdecken oder in einem Ehrenamt tätig zu sein. Zu Beginn kann aber auch der Small-Talk an der Kasse im Supermarkt ausreichen, um sich wieder an soziale Interaktion zu gewöhnen.

Niemand ist sozial inkompetent

Den ganzen Tag unter Menschen, ob an der Uni, auf der Arbeit oder beim Sport. Es wird geredet über die nächste Klausur oder Hausarbeit, Politik, den SC Freiburg, das Wetter oder was eben gerade ansteht. Doch schon während des Gesprächs fühlt man sich fehl am Platz. Manchmal macht sich die Einsamkeit auch erst beim nach Hause kommen in der Stille der Wohnung breit. Doch warum fühlt man sich einsam, war man doch nie wirklich alleine?

Wer denkt er sei sozial inkompetent, weil er sich einsam fühle, der irrt. Auch trotz vieler Freund*innen oder in Gruppen kann sich das bedrückende Gefühl breitmachen. Wem es so ergeht, kann hinterfragen welche Art der Kontakte im eigenen Leben wünschenswert sind. Dabei kann eine Werte-Orientierung anhand der Frage „Was ist mir wichtig im Leben?“ helfen, sagt Dr. Stächele. Denn nicht die Menge, sondern die Qualität der sozialen Bindungen sei einsamkeitsentscheidend.

Mutig sein

Egal ob Einsamkeit kurz- oder langfristig bedingt ist, bei der Suche nach einem Ausweg sollten bestehende Beziehung, neben Kontaktmöglichkeiten im Alltag, nicht vernachlässigt werden. Niemand muss und soll sich einsam fühlen. Dennoch ist die Erfahrung häufig mit Scham belegt, das zeigen auch die Ergebnisse des BBC Loneliness Experiments. Sich zu überwinden und einer vertrauten Person zu offenbaren ist schwer. Die Hemmschwelle sei hoch, denn es bedeute zuzugeben, dass man ein Außenseiter sei, sagt Student Till.

Psycholog*innen und Betroffene selbst betonen, dass es sich lohnt den Mut zu einem persönlichen Gespräch aufzubringen bevor Einsamkeit zu einem abgeschlossenen System und Teufelskreis wird. Dr. Stächele plädiert ebenfalls dafür, zu den eigenen Gefühlen zu stehen und sich an eine vertraute Person zu wenden, so können sich „im persönlichen Kontakt sehr vertiefende Gespräche entwickeln.“

Krank vor Einsamkeit

Es ist wichtig, sich Hilfe zu suchen. Denn wer sich langfristig einsam fühlt, kann krank werden. „Es zeigen sich Zusammenhänge zwischen Einsamkeit, Isolation und körperlichen Erkrankungen“, sagt Dr. Stächele. Chronische Einsamkeit bedeutet Stress mit all seinen negativen Folgen. So zählt der Psychologe zu potentiellen Auswirkungen ein geschwächtes Immunsystem, welches anfälliger für Infektionskrankheiten sei, eine steigende Tendenz zu Herz-Kreislauf- oder psychischen Erkrankungen sowie einen erschwerten Umgang mit Alltagsstress.

„Die Nähe zwischen Einsamkeit als Symptom und für sonstige, größere Anpassungsschwierigkeiten bis hin zu depressiven Situationen oder Erkrankungen ist groß.“ Daher könne man sich auch eine professionelle Anlaufstelle suchen, wenn es langfristig bei chronischer Einsamkeit bleibe, um darüber zu sprechen, wie das einzuschätzen sei.

Therapeut*innen können dabei helfen, zu erkennen und zu lernen wie man mit den eigenen Gefühlen umgehen und zu ihnen stehen kann, aber auch welche Einflussfaktoren es gibt, um Einsamkeit abzuwenden und sich jemandem anzuvertrauen, damit man wieder für den persönlichen Kontakt bereit sei. Sei Schmerz mit dem Einsamkeitsgefühl verbunden, diene dieser als Warnsignal. Er zeige, dass die aktuelle Situation so schnell wie möglich geändert werden müsse, betont der Psychologe.

Ja, zu professioneller Hilfe

Dass es gut ist, sich professionelle Hilfe zu holen, hat Till selbst erlebt. „Es gibt tausende Wege, aber das Problem ist meistens nicht der Prozess an sich, sondern dass man in diesen einzelnen Stufen stecken bleibt“, sagt der Student. Denn ein häufiger Grund für Einsamkeit sei, dass ein grundsätzliches Vertrauen in andere aber auch in sich selbst fehle. Zu Beginn müsse man sich daher erst einmal in der eigenen Einsamkeit wiederfinden.

Till hat dabei die Erfahrung gemacht, dass es hilft, die eigene Situation zuerst nur zu beobachten: Was passiert um mich herum und wie reagiere ich. Besonders wichtig aber auch schwierig sei dabei Achtsamkeit und ein wertfreies Denken, um sich von Sätzen wie „das hast du schon wieder dumm und falsch gemacht“ oder „jetzt hat die Person blöd reagiert“ zu lösen und so auch aus einem Schwarz-Weiß-Denken rauszukommen. Ihm hat beispielsweise das „System des sicheren Ortes“ geholfen. An diesen könne man jederzeit innerlich zurückkehren, Zweifel parken, um anschließend auf Leute ohne diese blockierenden Gedanken zuzugehen.

Auch Studentin Pia kennt das Einsamkeitsgefühl und hat sich Hilfe geholt. Sie fragt sich, warum wir für unseren Körper zu einem Arzt oder einer Ärztin gehen, aber zurückschrecken, wenn es um unseren Geist gehe, denn „man kann und muss nicht alleine Spezialist sein. Es hat funktioniert und das war ein Erfolgserlebnis“.

Optimismus und Überwindung

Psycholog*innen und Studien bestätigen, dass auch positive Gedanken, Optimismus und Hoffnung dabei helfen können, die eigene Einsamkeit zu reduzieren. Denn wie man sich fühle, spiegele man nach außen wider – mit den entsprechenden Reaktionen.

Auch Natascha hat es geholfen, sich selbst ein wenig zu überwinden und auf andere zuzugehen, obwohl sie zuvor häufig Angst vor diesem Schritt habe. „Die Leute sind hilfsbereiter als man denkt und reagieren nicht blöd, wie man sich das vielleicht im Kopf ausmalt“, sagt Natascha. Auch Till beschreibt die Hürde des Ansprechens anderer Menschen als eine künstliche. Sie existiere, weil man Angst habe, abgewiesen zu werden und führe deshalb dazu, dass man Leute eben auch nicht anspreche.

Menschliche Grunderfahrung

Einsamkeit ist eine menschliche Grunderfahrung, die jeden von uns betrifft.

Phasen des Gefühls bieten die Möglichkeit für Reflexion und Neuausrichtung. Dr. Stächele weist darauf hin, dass es Zeiten gab, in denen man die Erfahrung der Einsamkeit als Zeit der Besinnung und für spirituelle Erkenntnisse angesehen habe. Menschen seien in die Einsamkeit gezogen, um neue Erfahrungen zu sammeln.

Einsamkeit ist vielfältig: Ein großes Gefühl, mit Licht- und Schattenseiten, Chancen und Herausforderungen. Nicht nur ein dunkler, leerer und trauriger Raum. Ein Ort, auch gefüllt mit Ruhe, Entspannung, Kreativität und der Möglichkeit, sich neu auszurichten.