Deborah Wolf ist seit 2018 Doktorandin am Graduiertenkolleg 1767 „Faktuales und fiktionales Erzählen“ der Uni Freiburg. Sie forscht unter anderem zu Online-Medien und Verschwörungstheorien. Im Interview mit uniCROSS spricht sie darüber, welche wechselseitigen Einflüsse zwischen dem Internet und verschwörungstheoretischem Gedankengut bestehen und wie wir uns als Online-Nutzer*innen verhalten können.

Deborah Wolf beschäftigt sich in ihrer Doktorarbeit mit Verschwörungstheorien.

Frau Wolf, in Ihrer Dissertation setzen Sie sich mit den 9/11-Verschwörungstheorien im medialen Kontext auseinander. Was hat sich durch das Internet – und insbesondere durch soziale Netzwerke – hinsichtlich der Verbreitung von Verschwörungstheorien verändert?

Durch das Internet wird es für sehr viel mehr Leute sehr viel leichter, Texte, Bilder und Videos, die Verschwörungstheorien beinhalten, zu produzieren, hochzuladen und zu verbreiten. Verschwörungstheorien sind mit dem Entstehen des Internets nicht mehr geworden, aber sie sind sehr viel sichtbarer geworden, weil sie eben auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich sind.

Als Nutzer*in sieht man sich auf Facebook und Co. immer mal wieder mit Verschwörungstheorien, Falschinformationen oder gar hetzerischen Kommentaren konfrontiert. Wie soll man sich am besten verhalten? Lohnt sich eine faktenbasierte Gegenargumentation?

Faktenbasiert darauf einzugehen kann eine wichtige Signalwirkung haben. Man sollte sich aber nicht unbedingt die Hoffnung machen, dass man die Gegenseite sofort überzeugen wird. Ich glaube, da wird man häufig enttäuscht. Denn diejenigen, die an Verschwörungstheorien glauben, sind oft nicht so leicht davon abzubringen, weil Gegenbeweise angezweifelt werden. Und was es weiterhin schwierig macht, ist, dass Verschwörungstheorien eine sehr emotionale Angelegenheit sind.

Gerade als Privatperson ist es aber unglaublich wichtig, klare Grenzen zu setzen. Das heißt, dass ich menschenverachtendes Gedankengut oder was auch immer ich da antreffe, nicht einfach stehen lasse, sondern dass ich sage, das geht nicht und darüber diskutiere ich nicht. Wichtig ist, sich klarzumachen, dass ich mich auch einer Diskussion entziehen darf.

Kann an bestimmten Altersgruppen und sozialen Milieus festgemacht werden, welche Zielgruppen besonders anfällig sind für Verunsicherungen durch Falschinformationen im Netz?

Es ist sehr schwierig, das zu beantworten. Es ist schon Forschung dazu betrieben worden, welche demografischen Merkmale eine Rolle spielen. Die Ergebnisse sind aber nicht eindeutig, weil es auch sehr stark auf die Verschwörungstheorie ankommt. Was man sagen kann, ist, dass Menschen tendenziell eher geneigt sind, an Verschwörungstheorien zu glauben, wenn es sie selbst betrifft und ihrem eigenen Weltbild entspricht. Was auch jetzt zu Zeiten von Covid diesen Boom von Verschwörungstheorien sicherlich ausmacht, weil natürlich viele der Corona-Maßnahmen sehr viele Menschen direkt betreffen.

Für Nutzer*innen ist es nicht immer leicht, Fakt und Fake zu unterscheiden. Einige Medien haben es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, durch Faktenchecks Falschmeldungen im Netz aufzudecken. Inwiefern kann dieses Entgegenwirken helfen, die Verbreitung von Desinformation einzudämmen?

Man sagt, dass das Internet sehr viel demokratisches Potenzial hat. Aber es ist eben auch nur ein Demokratisierungspotenzial. Da heißt, es wird nicht automatisch alles demokratischer, sondern es muss auch etwas dafür getan werden, dass dieses Potenzial umgesetzt wird. Es ist ja nicht so, dass auf einmal alle gleich wären, nur weil theoretisch jede und jeder die Möglichkeit hat, etwas im Internet hochzuladen.

Wenn Falschinformationen oder Hate Speech verbreitet werden oder zu Gewalt aufgerufen wird, ist es wichtig, dass die entsprechenden Inhalte gelöscht werden und eben auch, dass diese Factchecks von den Medien gemacht werden.

Ist „Deplatforming“, also das Ausschließen von Einzelpersonen oder Gruppen aus sozialen Netzwerken, „nur“ ein wirksames Mittel, um die Demokratie zu schützen oder kann das auch gefährlich werden?

Ich glaube, wir können nicht grundsätzlich Verschwörungstheorien auf diesen Plattformen verbieten. Aber wenn es natürlich zu sowas kommt wie verfassungsfeindlichen und menschenverachtenden Meinungen, zu Aufrufen zu Gewalt oder auch zu Hate Speech, also einer Form von Gewalt, die direkt im Netz stattfindet, oder zu Fake News – dann müssen die Sachen gelöscht und gebannt werden. Auch wenn man Gefahr läuft, dass das Ganze sich dann in dunklere Ecken des Netzes verlegt.

Seit Corona ist Telegram DAS Medium für die Verbreitung von Verschwörungstheorien in Deutschland. Warum wird gerade dieser Messenger-Dienst so intensiv genutzt?

Wie gesagt, das Internet könnte potenziell demokratisch sein, weil theoretisch alle Leute etwas hochladen können. Aber Mehrheit ist nicht gleich Gerechtigkeit. Und weil die Plattformen ja von Menschen gestaltet sind und Ungleichheiten produzieren können, bin ich der Meinung: Die Beiträge müssen moderiert werden. Mittlerweile wird das Moderieren mehr und mehr gesellschaftlicher Konsens, weshalb Twitter, Facebook und Co. darauf eingehen und das tun.

Und dann gibt es aber eben andere Plattformen, die nichts moderieren. Und das führt dazu, dass gerade Leute, die radikales Gedankengut verbreiten wollen, mehr und mehr auf diese Plattformen ausweichen. Telegram ist eine Plattform, die schon vor Corona und unabhängig von irgendwelchen Verschwörungstheorien bei vielen als Messenger-Dienst bekannt war. Dass Telegram primär ein Messenger-Dienst ist und kein soziales Netzwerk, macht es auch so schwierig, dort zu moderieren.

Welche Tipps würden Sie Internet-Nutzer*innen mit auf den Weg geben, die den Umgang mit Verschwörungstheorien erleichtern können?

Wenn ich einem Inhalt entgegenkomme, der möglicherweise verschwörungstheoretisch ist, würde ich empfehlen, immer erst einen Schritt zurückzutreten, mir die Information nochmal anzuschauen, um mich von diesem Sog loszulösen, den das Ganze manchmal entfalten kann. Und natürlich die Quellen kritisch zu prüfen und klare Grenzen zu setzen. Also keine menschenverachtenden Weltbilder und Ideologien zuzulassen und mich, wenn notwendig, auch dem Gespräch zu entziehen.