Königskinder – Alex Capus

Max und Tina sind an den Weihnachtstagen im Greyerzerland unterwegs. Inmitten eines Schneesturms bleiben sie mit ihrem alten Toyota Corolla an einem Alpenpass stecken. Um die Zeit bis zum nächsten Morgen zu überbrücken, beginnt Max zu erzählen: Von dem Almhirten Jakob, der ganz in der Nähe zur Zeit der französischen Revolution lebte. Er erzählt, wie Jakob in aller Einfachheit aufwächst und wie er sich in Marie verliebt, die Tochter eines reichen Bauern. Doch das ist in der Dorfgemeinschaft nicht gerne gesehen und so wird Jakob aus der Heimat verstoßen und kommt an den Hof des französischen Königs. Von Tina und ihrer misslichen Situation angetrieben erzählt Max weiter von Jakobs Leben am Hof, von Erfolg und Misserfolg, Freundschaft und Hass, Glück und Unglück, das Jakob widerfährt.

Meisterhaft gelingt es dem Autor die Geschichte von Jakob und Marie vor mehreren Jahrhunderten mit der Geschichte von Tina und Max im Hier und Jetzt miteinander zu verflechten. Durch die leichte, feine Erzählart kommt das Gefühl auf, selbst mitten im Schnee eingeschlossen zu sein und sich durch die Worte, die gesponnen werden, fortgetragen zu werden. „Königskinder“ ist eine fast schon märchenhafte Erzählung, perfekt für die losgelöste Zeit zwischen den Jahren.

Janka Deus

Singe ich, tanzen die Berge – Irene Solà

Es ist ein stürmischer Abend, als Farmer Domènec aus seinem Haus in den katalonischen Pyrenäen tritt, um in der Stille des Alleinseins dem Klang seiner Gedichte nachzuspüren. Doch hier, auf dem Hang, ist er nicht wirklich allein: Bei ihm sind die schweren, schwarzen Wolken, die von „wer weiß woher“ gekommen waren und „wer weiß was“ gesehen hatten. Da ist der Blitz, der schnell wie eine Schlange auf ihn niederfährt. Und die Geister vierer Frauen, die in den Bergen einst als Hexen gehängt wurden und nun Zeugen seines Todes werden.

„Singe ich, tanzen die Berge“ ist eine kraftvolle, glühende Sinfonie der Menschen und Tiere, Geister und Naturgewalten Kataloniens. Empathisch und weise verwebt Irene Solà die Geschichte von Domènecs hinterbliebenen Angehörigen mit dem vielstimmigen Stoff ihrer Heimat, wo Mythen genauso lebendig werden wie die Vergangenheit des spanischen Bürgerkriegs. Unter dem Blick der teilnahmslos wachenden Berge tritt die Familientragödie als ein Wimpernschlag im währenden Kreislauf der Dinge zu Tage. Ein Buch in wilder, schöner Sprache über eine ebenso wilde, schöne Landschaft, für die Solà 2020 den Literaturpreis der Europäischen Union gewonnen hat.

Tabitha Sophia Wedemann

Vom Ende der Nacht – Claire Daverley

„Vom Ende der Nacht“ erzählt die Geschichte von Will und Rosie, die sich in einer kalten Winternacht am Lagerfeuer kennenlernen. Ihre Schulzeit neigt sich dem Ende zu und obwohl jeder seinen eigenen oder gar keinen Plan für die Zukunft hat, verlieben sie sich ineinander. Was sich als ganz normale Liebesgeschichte mit Sommerpartys, Abschlussball und ersten Küssen zu entwickeln scheint, findet ein abruptes Ende als etwas Schreckliches Wills und Rosies Leben erschüttert und jeden dazu zwingt, seinen eigenen Weg zu gehen. Es vergehen Monate und sogar Jahre, in denen sie nicht einmal aneinander denken und doch werden sie sich immer wieder begegnen und nie ganz voneinander loskommen…

In ihrem Roman erzählt Claire Daverley die Liebesgeschichte zweier Menschen mit all den Steinen, die das Leben und auch sie selbst einander in den Weg legen. Dabei hat sie mit Will und Rosie Figuren geschaffen, die in ihren Eigenheiten, Fehlern und großen Momenten so menschlich sind, dass man sich manchmal selbst in ihnen wiederentdeckt.

Im Wechsel nimmt man als Leser*in an Rosies und Wills Leben teil. Leidet, hofft, freut sich mit ihnen und fühlt die Momente nach, in denen man sich fragt, was hätte sein können, wenn man sich doch anders entschieden hätte.

Es ist eine jener Geschichten, bei denen man vergisst, dass man sie liest und sie nicht selbst erlebt. Lebendig, überraschend und immer ein wenig melancholisch …

Paula Würfel

Die Optimistinnen – Gün Tank

Nour ist 22 Jahre alt, als sie nach Deutschland kommt, als Gastarbeiterin, ohne jegliche Kenntnisse der deutschen Sprache. Zuvor hat sie in Istanbul bei ihrer Familie gelebt, nun findet sie sich in einem Wohnheim in der Oberpfalz wieder, gemeinsam mit vielen anderen Frauen, die aus unterschiedlichsten Ländern zum Arbeiten nach Deutschland gekommen sind. Die Arbeitsbedingungen in der Fabrik sind hart, die Löhne nicht gerecht. Gemeinsam mit ihren Freundinnen beginnt Nour einen langen Kampf für Arbeiter*innenrechte, für angemessene Bezahlung und Deutschunterricht, damit die Frauen sich selbst bei den Vorgesetzten für ihre Rechte einsetzen können. Dieser Kampf führt sie letztendlich bis nach Berlin.

Die Erzählebene wechselt zwischen 1972 und heute, folgt einmal der 22-jährigen Nour und auch ihrer Tochter, die in Rückblicken die Lebensgeschichte ihrer Mutter betrachtet. So handelt der Roman nicht nur von Nours Ankunft in Deutschland, sondern zeigt auch das Leben, das sie sich über die Jahre aufgebaut hat.

Gün Tanks Roman erzählt von der Politisierung einer jungen Frau, von Solidarisierung und aktivistischen Zusammenschlüssen von Arbeiter*innen und Migrant*innen. Er zeigt, wie die Frauen sich gemeinsam stark machen, aber auch, welche Wege sie allein gehen und welche Wege sie für spätere Generationen geebnet haben.

Alice Auciello

Starling Nights – Merit Niemeitz

Der malerisch-ehrwürdige Campus der Universität Cambridge, eine geheime Student*innenverbindung und mysteriöse Todesfälle – Starling Nights liefert die besten Gründe, es sich in der Weihnachtspause mit einer spannenden Geschichte gemütlich zu machen und zwischen den Seiten an die Cambridge Universität nach England abzutauchen.

Hauptprotagonistin des Buchs ist Mabel, die sich auf ihr Studium konzentrieren möchte und allem, was Unruhe und Ablenkung bedeutet, lieber aus dem Weg geht. Die geheime Verbindung der Bund der Stare samt ihrer jahrhundertealten Rituale und nächtlichen Zusammenkünfte steht also eigentlich für alles, was sie in der Regel meidet. Als ihre beste Freundin allerdings immer weiter in die Kreise dieser Verbindung gerät und die mysteriösen Ereignisse sich häufen, begibt Mabel sich auf die Suche nach einer Wahrheit, die größer ist, als sie sich je hätte vorstellen können.

Unter einem Schleier des Mysteriösen und Übernatürlichen, ist Starling Nights auch eine Geschichte von Freundschaft, Liebe und Seelenverwandtschaft, die fragt, wieviel man bereit ist zu geben, um seine Freunde zu beschützen. Neben der spannenden Handlung trägt auch der gefühlvolle und schöne Schreibstil von Merit Niemeitz dazu bei, sich komplett in der Geschichte zu verlieren. Mit einfühlsamen Worten zeichnet sie Charaktere, die sich durch ihre Gedanken, Eigenschaften und Stärken, aber auch durch ihre Schwächen und Unsicherheiten beim Lesen sehr nah und echt anfühlen. Ein Buch, in dem man einige Sätze mehrmals lesen möchte, um sie nicht so schnell zu vergessen.

Jule Bürgi

Texte von Ernst Jandl

„Ottos Mops kotzt“ – das kennen wohl viele noch aus der Schule. Es ist das berühmteste Gedicht des österreichischen Dichters Ernst Jandl. Im Jahr 2000 ist er verstorben, doch seine skurrilen Lesungen sind der Buchwelt in Erinnerung geblieben. Auf YouTube kann man sie sich immer noch anschauen.

Jandl beugt sich über die kleinen gelben Gedichtbände, als könne er seine eigene Schrift nicht mehr entziffern, und schreit mit weit aufgerissenen Augen hinter der Brille:

„Bist eulen? Ja, ja, sehr eulen.

Will aber nicht mehr eulen sein.

Bin schon zu lang eulen gewesen.

Doch wer einmal eulen war, der wird eulen bleiben immer.“

Wenn man eines seiner Büchlein auf einer beliebigen Seite aufschlägt, sieht es meist aus, als wäre der Autor mit dem Arm auf der Schreibmaschine ausgerutscht und der Verleger hätte es sofort gedruckt. Passend zu Weihnachten hat Jandl auch ein Gedicht über den Heiland verfasst:

„jeeeeeeeeeeeeee

sus

komm

herr

jeeeeee

suss“

Die Themen seiner Poesie reichen von solchem Nonsens bis zur Kritik an blutigen Grabengefechten während des Ersten Weltkriegs wie im Gedicht schtzgrm. Am besten laut aussprechen.

Manche halten die Texte einfach für verrückt. Es ist mit ihnen wie mit Rosenkohl: Entweder man liebt sie oder man kann sie einfach nicht ausstehen. In letzterem Fall ist man vielleicht einfach nicht eulen genug.

Wer Ernst Jandl liest, muss bald lachen bis die Tränen kommen, bald innehalten und das Leben und die Sprache als urkomische Sinnlosigkeiten empfinden. Empfehlenswert sind die Bände „Laut und Luise“, „sprechblasen“ und „der künstliche baum“.

Nils Bentlage

Like Snow we fall – Ayla Dade

Wer anderen Wintergefühle und eine gemütliche Stimmung bereiten will, schenkt ihnen am besten Like Snow we fall von Ayla Dade.

Die ehrgeizige Eiskunstläuferin Paisley flieht vor ihrer Vergangenheit in die winterliche Stadt Aspen in die Rocky Mountains. Dort trifft sie nicht nur auf eifersüchtige Eiskunstläuferinnen, sondern auch auf süße Snowboarder. Dabei ist ihr einziges Ziel doch nur Olympia, oder?

Was dieses Buch besonders macht, ist nicht nur das toll beschriebene Setting, sondern auch die Kleinstadtdynamik, die ein wenig an Stars Hollow aus Gilmore Girls erinnert. Außerdem taucht man tief ein in die positiven aber auch negativen Seiten des Wintersports.

Sobald man dann dieses spannende und herzerwärmende Buch verschlungen hat, kann man sich noch auf drei weitere Teile der Winter-Dreams-Reihe freuen.

Rebekka Hauber

Der Geschmacksthesaurus – Niki Segnit

„Kälter als ein Auftragskillerpärchen.“ Hierbei handelt es sich nicht etwa um die Überschrift eines Krimis, sondern die Beschreibung der geschmacklichen Beziehung zwischen Gurke und Minze.

Niki Segnit hat mit dem Geschmacksthesaurus ein grandioses Lexikon geschaffen, in welchem sie „Ideen, Rezepte und Kombinationen für die kreative Küche“ zusammenbringt. Wunderschöne lyrische Beschreibungen zum Teil banaler, aber auch genialer Kombinationen von zwei Geschmäckern treffen sich in diesem Buch ebenso, wie Anekdoten einer Geschmacksverliebten, kreative Rezeptideen und spannende aromatheoretische Informationen über die Zutaten.

Wer auf der Suche ist nach Inspiration, nach in Worte gegossenen kulinarischen Gedichten, nach Ablenkung, nur auf der Suche nach einem Rezept für das Weihnachtsessen oder einem garantiert besonderen Weihnachtsgeschenk, hier ist möglicherweise die Lösung. In der Optik einer Farbenlehre ist das Buch allein äußerlich eine Bereicherung im Bücherregal.

„Basilikum ist das wärmste und duftendste, das schönste, frischeste und irritierend sympathischste aller Kräuter.“ – „Petersilie sei das Gegrüßest-seist-du-Maria gegen die Sünde des Knoblauchs“. Mit solchen Beschreibungen kann man abschalten, rauszoomen, einfach sein. Eine Massage für die eigene Seele, die inmitten der Krisen unserer Welt sehr guttut.

Simon Barmann