Vor dem ausverkauften Konzert im Jazzhaus Freiburg am 18.10.2025 waren Simon (Schlagzeug) und Timo (Gesang) zum Interview im uniFM-Studio.
Ihr wart vor ziemlich genau zwei Jahren das letzte Mal in Freiburg, auch letztes Mal im ausverkauften Jazzhaus mit neuem Album. Heute wieder im gleichen Laden, wieder mit neuer Platte. Was hat sich in den zwei Jahren am meisten verändert?
Simon: Wir hassen Veränderung. Wir sind sehr unveränderliche Leute
Timo: Wir sind Steine. Bis jetzt war alles gleich. Wir machen jetzt eigentlich das Gleiche, was wir letztes Mal gemacht haben.
Simon: Weil das halt geil ist: Never change a running system.
Timo: Das ist auch nur Punkrock.
Simon: Was sich natürlich verändert hat: Wenn man dreimal dieselbe Sache macht, lernt man natürlich was. Wenn man sich die allerersten Sachen von uns anhört und jetzt – da ist schon was vom Sound und vom Songschreiben. Das verändert sich natürlich schon, einfach dadurch, dass man es öfter macht.
Ich hatte gerade bei der neuen Platte das Gefühl, in leiseren Momenten passiert dann doch deutlich mehr als zu Beginn bei eurer ersten Platte. Ich weiß nicht, war die erste Platte für euch ein Album oder nicht?
Simon: Nee, das ist ne EP: „Acht Hobbies für den sozialen Abstieg“.
Timo: Das war eher so ein Tape. Das Albumgefühl, das hat sich bei „Küsse, Tanke, Blumen“ eingestellt, das wir mit SoulForce Records rausgebracht haben (Ich hab dir Blumen von der Tanke mitgebracht (jetzt wird geküsst), 2021). Da war das dann auf einmal: „Hä, was, ein Label will, dass wir uns fokussieren?“ Das war voll das strange Gefühl damals. Das war unser erstes Album und das war auch wirklich das besondere Album. Und das wird es auch für immer bleiben.
Und das zweite Album (2023) war dann so ein bisschen: Okay, jetzt knacken wir mal mit den Knöcheln und gucken, was wir noch so können. Und das dritte (20 Jahre Drehorgel, 2025) war dann so: Okay, wir haben eine ganze Menge Erfahrungen gemacht, auch mit unserer Musik in der Welt. Jetzt schleifen wir den Diamanten nochmal richtig und gehen noch mal weiter mit den Produktionsstrukturen, die wir etabliert haben. Dieses Sandwich-Verfahren haben wir ja, weiß ich auch nicht, „gemeistert“.
Was meinst du genau mit “Sandwich-Verfahren”?
Timo: Also der Eine nimmt was auf, dann kommt der Nächste, nimmt was auf, kommt der Dritte, nimmt was auf, der Vierte, fertig. Mischen. Und jetzt sind wir an dem Punkt, wo wir irgendwie das Gefühl haben, das nächste Album können wir vielleicht mal anders machen. Then again: It’s a running system. Warum sollte man es ändern? Wir könnten es ändern, einfach um zu gucken, was passiert und könnten dann wieder zurück zum running system. Aber wahrscheinlich auch nicht. Es ist spannend. Wir sind an einem spannenden Punkt in unserer Musikkarriere.
Wir freuen uns auf die Team Scheisse Krautrock-Platte.
Timo: Ja genau, Disco. Mal was anderes.
Ich habe euch so vier oder fünf Mal live gesehen in den letzten Jahren, aber noch nie in der gleichen Besetzung. Es sind ja auch nicht alle Leute auf der Bühne, die am Songwriting beteiligt sind. Ich habe das Gefühl, dass man nicht sagt: „Wir sind Team Scheisse, die klassische Rockband“, sondern dass das Team im Vordergrund steht.
Simon: Ja, finde ich schön. Einige betonen ja immer, dass Scheisse im Vordergrund steht. Ich freue mich immer, wenn jemand sagt, dass Team im Vordergrund steht.
Timo: Best of both worlds
Aus dem Team waren ja einige auch schon davor DIY in Bands aktiv. Ihr seid weiterhin in anderen Musikprojekten. Warum glaubt ihr, ist ausgerechnet Team Scheisse aus diesem Zirkel die Band geworden, die so krass Erfolg hat, die abgeht?
Timo: Das musst du wahrscheinlich Fizzle fragen von SoulForce (Label der Band, Anm. d. Red.). Der hat sich das ja irgendwie alles angehört und hat dann Team Scheisse kontaktiert.
Simon: Ich habe schon manchmal das Gefühl, dass die Sterne gut für uns stehen. Immer, wenn man denkt, jetzt weiß ich auch nicht mehr, was wir machen sollen, passiert irgendwas völlig Insanes.
Timo: Glück, Zufälle. Das ist immer so eine komische neue Stufe von: Hä? Wie? Wie Hurricane? Wie Böhmermann?
Also Schuld am Erfolg waren immer die anderen?
Simon: Nee, also – ja, doch!
Timo: Wir machen auch immer noch das, was wir ganz am Anfang gemacht haben, als uns hundert Leute auf Soundcloud gehört haben, nicht mal. Dann haben wir ein paar Kassetten verkauft an irgendwelche Bremer Menschen. Und auf einmal bläst das so ein Label auf und dann kriegen das tausend Leute in Freiburg mit, was du erst mal nicht mitkriegst. Und das ändert auch nichts an unserer Haltung der Musik gegenüber. Wir verändern nicht die Musik, weil irgendwie fünfhundert Freiburger zu einem Konzert kommen. Im Gegenteil, es ist ja die Bestätigung, dass das, was du machst, gut ist.
Und du lernst aber auch währenddessen so Leute kennen, die dir dann sagen: „Mach mal TikTok, mach mal das“ oder „Du kommst nicht zu unserem Festival, weil du nicht genug Instagram-Follower hast.“ Das ist die Realität. Und dann stellt sich die Frage: Was entscheidest du? Entscheidest du, dann mache ich jetzt bei Instagram mehr Follower, weil dann kann ich auf dem Festival spielen? Das ist der eine Weg. Es bedeutet aber, du widmest dich Problemen, die eigentlich nichts mit deiner Musik zu tun haben und du hörst auf Leute, die nicht dein Bauch sind. Und wir haben gute Bäuche.
Die Mucke muss Spaß machen und da muss ich ein richtig gutes Gefühl bei haben. Wenn ich das Gefühl hätte, einer von uns findet das scheiße, was gerade passiert, dann wäre der Ofen aus.
Und auf einmal bist du in diesem komischen Kapitalismus-Game. Es geht aber um Lieder schreiben, gute Musik machen, Spaß haben auf der Bühne zusammen, Gitarre schreng schreng und so.
Simon: Safe. Ich finde, das ist eine sehr grundsätzliche philosophische Frage. Also grundsätzlich ist ja die Frage: Macht gute Musik erfolgreich, ist der Schlüssel zum Erfolg gute Musik? Und da gibt es so viele Gegenbeispiele, dass so viele Bands, die ich ganz, ganz toll und besonders und unfassbar produziert und alles finde, gar nicht so super erfolgreich sind. Und dann wiederum super viele sehr erfolgreiche Bands wirklich sehr beschissen sind.
Timo: Da liegt wieder die root of all evil. Irgendwann hat jemand Musik mit Geld verknüpft und das für eine gute Idee gehalten. Und das Musikbusiness macht einfach keinen Sinn. Ob da Millionen Menschen klatschen oder einer, ist eigentlich egal, addieren sich nur Nullen. Und dann irgendwann kommt einer und sagt „statt zehn Euro bekommst du jetzt hundert für den Auftritt“ und dann hast du eine ganz komische Verzerrung von: „Das ist ja, weiß ich auch nicht, ungefähr so viel, wie ich an der Kasse verdiene.“ Und dann relativierst du das, und dann muss deine Miete gezahlt werden und auf einmal bist du in diesem komischen Kapitalismus-Game. Es geht aber um Lieder schreiben, gute Musik machen, Spaß haben auf der Bühne zusammen, Gitarre schreng schreng und so.
Ihr versucht eure Konzerte für alle so sicher zu machen wie möglich. Ihr macht zu Beginn Ansagen an cis-Dudes, macht FLINTA*-Pits. Habt ihr ab einer gewissen Größe überhaupt noch so viel Spielraum?
Simon: Eigentlich schon. Ich wundere mich eher, dass so viele Bands das nicht so wahrnehmen. Anstoß zu diesen Sachen war ja, dass auf Konzerten bei uns Sachen passiert sind. Wir sind losgefahren und dachten: Ja, Punkrock, hier sind jetzt nur coole Antifaschisten, die sind alle voll korrekt. Und dann bist du bei den Konzerten und es passiert komplett viel beschissener Scheiß. Von Schlägereien zu Übergriffen, zu Männer-klettern-in-die-Frauentoiletten. Keine Ahnung, wir haben so viel Quatsch schon gesehen, dass wir halt direkt irgendwie angefangen haben, gegenzusteuern. Eigentlich musst du nur als Band auf die Bühne gehen und einmal das Wort „Awareness“ sagen, dann sind so viele Leute sowas von komplett angepisst. Die verlassen den Raum, die kommen auch nicht mehr zu deinen Konzerten. Und das ist gut.
Timo: Am Anfang haben wir immer in Bremen gespielt, da war die Hälfte mit mir verwandt im Publikum. Und dann fährst du in eine andere Stadt. Da kennst du keinen und dann siehst du eine ganz andere Dynamik. Und wir haben so Wake-Up-Call Gefühle gehabt von so: Alter, was ist das denn? Wir müssen damit klarkommen. Wir können diesen Weg von Ballermann überhaupt nicht gehen. Wir können nicht drauf scheißen, wenn da irgendjemand sich den Kopf aufschneidet, weil im Glas ausgeschenkt wird oder den Kopf aufschlägt, weil da ein Tisch nicht abgeschraubt wird. Wir können nicht einer Frau nach dem Konzert zuhören, wie sie sexuell angegangen wird und sagen: „Ja, für uns war‘s aber ein geiles Konzert.“ Auf keinen fucking Fall.
Wir können versuchen, da den Unterschied in diesen Rock’n’Roll-Trampelpfaden zu machen, die irgend so ein Rammstein hinterlassen hat.
Wir haben im Laufe der Jahre immer größere Konzerte gespielt und irgendwann war zum Beispiel die Columbia Halle mit 3.000 Leuten. Du kannst eine Menschenmasse von 3.000 Leuten nicht unter Kontrolle bringen, da passiert immer was. Aber wir können unser Möglichstes versuchen und das kostet uns auch Geld.
Wir haben zum Beispiel eine Secu-Kraft dabei (Security-Kraft, Anm. d. Red.), die die Schnittstelle bildet zwischen uns und den Secu-Kräften vor Ort, weil die Secu-Kräfte vor Ort kennen wir nicht. Wir wissen nicht, ob die gut sind, wie die arbeiten. Viele sind gut, aber man weiß es einfach nicht. Und genau da ist eine Schraube, die wir in die Hand nehmen, dass diese Sicherheit gewährleistet ist. Und das leisten wir uns, weil wir in dieser Luxusposition sind, auch eine höhere Gage zu verlangen oder den Ticketpreis abzurufen und geben das dann unserer Secu-Kraft, zum Beispiel.
Oder wir sorgen dafür, dass es Awareness-Konzepte gibt vor Ort. Kooperieren nur noch mit Veranstaltern, die checken, was wir vorhaben, dass es unserem Publikum gut geht, dass wir nicht wollen, dass da nur drei besoffene Macker eine gute Zeit haben. Ne, Fick die Macker, wir schicken die drei raus, dann haben fünfhundert Leute eine gute Zeit, ist ne viel geilere Rechnung.
Da sind wir aber privilegiert. Also eine Band, die klein ist und versucht, sich eine Fanbase zu erspielen, hat ein ganz anderes Mindset. Die sind dankbar für jedes verkaufte T-Shirt, für jedes verkaufte Ticket. Und darum kann ich von so einer kleinen Band das nicht verlangen. Aber wir können versuchen, da den Unterschied in diesen Rock’n’Roll Trampelpfaden zu machen, die irgend so ein Rammstein hinterlassen hat, um zu zeigen: Das ist nicht cool, das geht anders, wir kriegen das zusammen hin und es gibt genug Leute, die das genauso sehen.
Simon: Wir haben das erlebt bei den Festivals, die explizit Punk sind. Es sind leider immer die Punk-Festivals, die am problematischsten sind. Da wo die Leute sind, mit denen ich sonst gerne rumhänge und von denen man immer denkt, dass sie so cool und links und solidarisch sind. Die dann auch immer mindestens zehn Minuten des Konzerts damit verbringen, „Alerta, Alerta“ zu rufen. Die schaffen es dann nicht, zwei Minuten solidarisch zu sein und mal nen FLINTA*-Pit mitzumachen, um da mal ein paar FLINTA*-Personen im Kreis tanzen zu lassen oder eben nicht Leuten Becher an den Kopf zu werfen. Also, dann soll Punk sterben. Das finde ich total in Ordnung. Wir machen irgendwas anderes, finde ich total okay. Das braucht man einfach nicht. Ich brauche das nicht in meinem Leben.
Ich würde mir wünschen, dass Metallica FLINTA*-only-Shows machen.
Es wird wieder den FLINTA WINTA geben, wollt ihr kurz mit eigenen Worten sagen, was das ist?
Timo: Der FLINTA WINTA ist eine Konzertreihe, die wir schon mal gemacht haben und jetzt wieder machen werden. Das sind acht Konzerte im Februar 2026 für FLINTA*-only-Publikum. Das bedeutet ohne cis-Männer. Und ja, ich bin cis-männlich, ich steh aber auf der Bühne. Also es gibt da im Publikum keine cis-Männer.
Und es geht auch gar nicht darum, dass wir keine FLINTA*-Band sind. Ich würde mir wünschen, dass Metallica FLINTA*-only-Shows machen. Ich würde mir wünschen, dass jede Venue (Veranstaltungsort, Anm. d. Red.) einmal im Monat eine FLINTA*-only-Show macht. Denn es geht uns eher darum zu zeigen, dass FLINTA*-Leute auf Konzerten tendenziell eine schlechtere Zeit haben, dass sie weniger gerne auf Konzerte gehen, dass sie auf Konzerten an den Rand gedrängt werden und nicht vorne tanzen, weil da immer 100-Kilogramm-Körper in Bewegung sind und die Ellenbogen draußen haben und viel zu besoffen sind, um es mal auf Deutsch zu sagen.
Simon: Allein diese ganzen Übergriffe. Immer dieses komische Angetatsche. Da kann echt fast jede Frau von erzählen, dass sie auf irgendwelchen Konzerten angetatscht wurde. Tatsächlich ist es bei den FLINTA*-Shows auch explizit so, dass viele Leute kommen, die gar nicht mehr auf Konzerte gehen. Da kommen viele Personen, die sagen: „Geil, danke, dass ihr das macht. Ich war schon so lange nicht mehr auf einem Rockkonzert, weil mich das so abfuckt, da immer irgendwie angetatscht zu werden.“
Timo: Und dann hörst du so was. Wie willst du denn danach dein Mindset nicht verändern? Wie willst du denn nach so einem Kommentar von einem Menschen denken, die Welt ist in Ordnung? Nein, die ist nicht in Ordnung. Und diese ganze Konzertsituation ist nicht in Ordnung für zum Beispiel FLINTA*-Personen. Und wir sind nicht die einzige Band, die so was macht. Wir sind nicht die erste Band und wir sind auch nicht die letzte.
Das ganze Interview kannst du auf Soundcloud oder oben im Player anhören.
 
				 
								 
															


