Im Zug klatschen dicke Regentropfen gegen die Fensterscheiben. Il pleut des cordes wie der Franzose sagt. Das ungemütliche Wetter beeinflusst allerdings nicht im Geringsten den Tatendrang und die Motivation der Eucor-Studierenden, die sich vor der CIARUS-Jugendherberge in Straßburg zusammengefunden haben. Dort werden sie das Wochenende gemeinsam verbringen. In dieser Zeit werden sie in acht Gruppen ein grenzüberschreitendes Projekt erarbeiten und einer Jury vorstellen. Am Ende winkt vier Gewinnergruppen ein Budget von 2.000 Euro für die Umsetzung.

Straßburg als europäische Hauptstadt ist als Standort für den Hackathon passend gewählt. Im Rahmen des sogenannten “Dreijahres­-Vertrags” wird das Projekt von der Stadt Straßburg, der Collectivité européenne d’Alsace und der Region Grand Est finanziell unterstützt. Dabei sollen kulturelle Projekte im grenzüberschreitenden Stil umgesetzt werden, die alle fünf EUCOR-Universitäten einbeziehen.

EUCOR – The European Campus ist ein trinationaler Verbund zwischen den Universitäten Basel, Karlsruhe, Strasbourg, Haute-Alsace und Freiburg, mit dem Ziel „eines klar profilierten Wirtschaftsraumes ohne Mauern und Grenzen mit internationaler Ausstrahlung“ aufzubauen.

Das Konzept des Hackathon stammt aus der Informatik: Über einen kurzen Zeitraum treffen sich Spezialist*innen und Freund*innen des Gebiets, mit dem Ziel, am Ende eine funktionsfähige und nützliche Software entwickelt zu haben.

Tag 1 beginnt gegen 9 Uhr. Auf den Tischen im Konferenzraum liegen Textmarker, Post-Its, buntes Papier. Daneben steht ein Flipchart. Nach den ersten Minuten der Unsicherheit füllt sich der Raum mit Gemurmel und die ersten Ideen werden eifrig notiert. In der Gruppe „Kunst und Kultur“ entsteht am Vormittag die erste Idee: Eine Schatzsuche. An einem Tag in einer deutschen EUCOR-Universitätsstadt, an einem anderen in einer französischen. Erarbeitet werden die Ideen mit der SMART – Methode: Das Ziel des Projekts soll spezifisch sein, messbar, handlungsorientiert, realistisch umsetzbar und vor allem zeitlich begrenzt.

Am Morgen wurden acht Gruppen mit verschiedenen Interessensgebieten zusammengestellt. Diese wurden zuvor im Anmeldeformular angegeben und decken sich meist mit den jeweiligen Studiengängen. Darunter zum Beispiel Wissenschaftskommunikation, Sprachen und Interkulturalität, Sport, Gesundheit und Inklusion.

Maud ist in der Gruppe „Kunst und Kultur“ und studiert im dritten Jahr Kunstgeschichte in Straßburg. Nebenher arbeitet sie im Museum Adolf Michaelis, das sich unter dem palais universitaire befindet. Ihre Idee: „Ich könnte einen Hinweis der Schatzsuche im Museum verstecken und eine kleine Studentengruppe herumführen. So nehmen die Studierenden der anderen Uni auch ein bisschen Kultur mit.“

Die Hinweise für die Schatzsuche sollen in Gebäuden der jeweiligen Uni, Sehenswürdigkeiten der Stadt und bei Verbänden, die die EUCOR-Werte vertreten, versteckt werden. In Freiburg könnten beispielsweise das centre culturel français, die feministische Geschichtswerkstatt und der AStA im Studierendenhaus besucht werden. Das Ziel des Projekts „Schatzsuche“ ist es, Austausch und regelmäßige Treffen der EUCOR- Studierenden zu ermöglichen, um EUCOR und seine Mobilitätsmöglichkeiten kennenzulernen und im weiteren Studienverlauf zu nutzen.

Ebenfalls Teil der Gruppe „Schatzsuche“ ist Sébastien. Er studiert Theologie an der Uni Straßburg. Ihm ist es besonders wichtig, dass sein umzusetzendes Projekt ein Zeichen gegen Diskrimierung und Rassismus setzt. Dazu möchte er Verbände und Studierendenverbindungen für die Schatzsuche anfragen.

Warum haben sich die Studierenden für dieses besondere Wochenende angemeldet? Cassiopée zum Beispiel möchte Erfahrungen im Projektmanagement für ihr späteres Berufsleben sammeln und ist vom trinationalen Konzept von EUCOR überzeugt. Unter den zahlreichen französischen Studierenden sind auch fünf deutsche des KIT Karlsruhe und der Uni Freiburg dabei.

Am Ende des Wochenendes wird es vier Gewinnergruppen geben, die ihre Projekte bis Juni 2024 im Oberrheingebiet umsetzen werden. Dabei muss insbesondere auf die Kompatibilität der Semesterpläne der beteiligten Universitäten geachtet werden.

Als oberrheinischer Universitätsbund stärkt EUCOR – The European Campus seit 30 Jahren die grenzüberschreitende Vernetzung von Studium und Lehre. Die Mitgliedsuniversitäten haben sich auf die Umsetzung europäischer Ziele geeignet, wie grenzüberschreitende Mobilität und intensiven Austausch. Ein weiteres Augenmerk von EUCOR liegt auf der Betreuung von Studierenden, Mitarbeitenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in unterschiedlichen Karrierestufen.

Im Rahmen des europäischen Campus ist der Hackathon Premiere. Wenn die Projektentwicklung gut läuft, soll das Event in den nächsten Jahren wiederholt werden. Wichtig ist den Organisator*innen, dass nicht nur grenzüberschreitende Projekte entstehen, die die Studierenden der Unis näher zusammenbringen, sondern auch neue Freundschaften.

Bekannt ist EUCOR bei den meisten bisher wohl vor allem für seine Fahrradtour, die jedes Jahr Ende Mai stattfindet. In fünf Tagen radeln 120 Teilnehmende aus den drei Ländern in fünf Etappen von Karlsruhe nach Basel und wieder zurück. Aber das ist nur eines von vielen Angeboten. Als Studierende*r einer EUCOR- Universität können auch grenzüberschreitende Kurse besucht werden. Im Rahmen einer sogenannten „freien Mobilität“ kann man beispielsweise einen Kurs pro Woche an einer Partneruniversität belegen. Dabei entstehen keine weiteren Studiengebühren und die Fahrtkosten werden bezuschusst. Die Studierenden bleiben an ihrer Heimatuniversität eingeschrieben und in Absprache mit den Lehrenden können ECTS-Punkte anerkannt werden. Außerdem gibt es bi- oder sogar trinationale Studiengänge, mit deren Abschluss man automatisch Zertifikate der Partnerunis erwirbt.

Auch organisierte Treffen zwischen Studierenden aus Straßburg, Karlsruhe und Basel werden angeboten. Das nächste Treffen findet auf dem Basler Campus statt und ist mit einem Besuch auf dem Weihnachtsmarkt verbunden.

Beim Hackathon steht die Gruppe „Kunst und Kultur“ nun vor der Frage des Geschenks, das die schnellste Gruppe am Ende der Schatzsuche erwarten soll.

„Der Schatz soll auch ein Ansporn für die Studierenden sein, sich für das Event anzumelden“, sagt Maud. Sie schlägt eine gemeinsame Aktivität vor, die die internationale Gruppe auch nach der Schatzsuche nochmal zusammenbringe.

Im nächsten Schritt erstellt die Gruppe einen Budget-Plan und gestaltet erste Flyer.

Zwischendurch bekommt die Gruppe Besuch von ihrem Coach Théo. Als Hochschul- und Mobilitätsbeauftragter arbeitet er regelmäßig mit EUCOR Studierenden zusammen. Er gibt der Gruppe Tipps bezüglich des Budgets und des Pitchs, der Präsentation des Projekts.

Der Pitch wird vor einer Jury, bestehend aus fünf Expert*innen der europäischen Zusammenarbeit, gehalten, die innerhalb von fünf Minuten vom Projekt überzeugt werden müssen. Oberste Regel beim Pitchen ist deshalb: Sich so kurz wie möglich halten. Trotzdem sollen die Kernelemente und das Ziel klar werden. Ein Augenmerk wird auf die transnationale Dimension und die Einbringung der EUCOR-Werte gelegt.

Für die Schatzsuche- Gruppe stellt die Planung der Hin- und Rückreise eine weitere Herausforderung dar. Dabei stellen sich Fragen wie: Welche Kosten werden von EUCOR erstattet?

Gegen Ende des Nachmittags steht ein Grundgerüst für das Projekt. Die ersten Etappen und Orte für die Schatzsuche in Straßburg und Freiburg stehen fest, ein Budget für Snacks und Getränke ist eingeplant. Für den Pitch muss allerdings noch ein Projekttitel her.

Der letzte Tag beginnt mit einer letzten Besprechung mit den Coaches, die als Hochschulbeauftragte die Gruppen unterstützt haben. Sie geben Tipps, wie die Jury überzeugt werden kann. Ein Tipp von Théo setzt die Gruppe direkt zu Beginn um: Der Einstieg muss catchen, am besten mit einer Frage: „Wer hat nicht schon mal davon geträumt, einen Schatz zu finden? Mit unserem Projekt wird dieser Kindheitsraum Wirklichkeit.“

Die vier Gewinnerteams mit ihren Coaches und der Jury.

Die vier Gewinnerteams mit ihren Coaches und der Jury.

Während des Pitch sehen auch die anderen Gruppen zu und erfahren so das erste Mal die Details aller erarbeiteten Projekte. Maud macht sich noch einen letzten Stichpunktzettel, sie ist zufrieden mit den erarbeiteten Ergebnissen der Gruppe. Anschließend stellt sie die Schatzsuche der Jury vor.

Die Jury -Mitglieder kommen langsam in den Saal, die Studierenden sehen sie zum ersten Mal und werfen sich neugierige Blicke zu. Die Gruppen tauschen letzte Informationen aus, kurzfristig wird in einem Team sogar die Präsentationssprache von Deutsch-Französisch auf Englisch geändert.

Trotz Aufregung verläuft die Vorstellung der Pitches ohne Hindernisse. Zwei der acht Projekte werden auf deutsch und französisch vorgestellt, die anderen auf englisch.

Die Anzahl der Sprecher*innen variiert bei der Vorstellung der Projekte, genauso wie die Ideen. Eines haben aber alle Projekte gemeinsam: Die Mobilität und der Austausch der fünf EUCOR – Universitäten soll gefördert werden. Der Pitch „Binationale Schatzsuche“ endet mit einem Slogan, der im Gedächtnis bleibt: „Avec EUCOR trouvez le trésor!“

Zum Ende des Wochenendes wird das Programm des Hackathons bewertet. Einige Studierende aus naturwissenschaftlichen Gebieten waren überrascht, wie „leicht“ der Hackathon war – sie hatten zuvor bereits an Hackathons teilgenommen, bei denen zum Beispiel Apps entwickelt wurden und sie vor lauter Arbeit direkt neben dem Schreibtisch übernachteten.

Die meisten Teilnehmenden können nach dieser grenzüberschreitenden Erfahrung beim Hackathon in Straßburg allerdings sagen, dass sie ihre Sprachkenntnisse verbessert haben. Die Organisation fand zwar auf englisch statt, die Gruppenarbeit bestand aber oft aus drei Sprachen, um sich besser zu verständigen. Einige lernten, wie man einen Pitch hält. Den Kern des Wochenendes stellen aber sicherlich die Freundschaften dar, die innerhalb der Projektgruppen entstanden sind – und diese werden auch die spätere Umsetzung tragen.

„Vive l´interculturalité“, „Olympiade transculturel“, „Eucor lab 3D“ und „MUN Eucor“ hießen die vier Gewinnerprojekte. Dabei handelt es sich beispielsweise um organisierte Debattenrunden, zu denen Expert*innen oder Professor*innen eingeladen werden sollen, ein Tag mit verschiedenen Aktivitäten wie gemeinsames Kochen, eine Stadtralley aber auch die gemeinsame Arbeit mit einem 3D- Drucker.

Bis Juni 2024 sollen diese Projekte von den beteiligten Studierenden und mit Unterstützung von EUCOR umgesetzt werden.