Herzrasen, Schwindel, Atemnot. Viele Menschen haben Angst vor dem Telefonieren. uniCROSS-Autorin Emely Kissinger hat zum Handy gegriffen und Annegret Wolf vom Psychologischen Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gefragt, woher die Panik kommt, was Digitalisierung damit zu tun hat und warum ein Lächeln an der Leitung manchmal Wunder wirkt.

“Telefonieren ist etwas, das man lernen muss”

Psychologin Dr. Annegret Wolf über die Angst vor dem Hörer, Foto: Christine Reissig, MDR

Psychologin Dr. Annegret Wolf über die Angst vor dem Hörer, Foto: Christine Reissig, MDR

uniCROSS:
Gibt es die Angst vor dem Telefonieren?

Wolf:
Die Angst vor dem Telefonieren als Kommunikationsvorgang gibt es definitiv. Im Internet finden sich extreme Erfahrungsberichte von Menschen, die Herzrasen oder Panikattacken bekommen, wenn das Telefon klingelt. Diese Angst vor dem Telefonieren ist keine Einbildung. Aus psychologischer Sicht muss ich aber sagen, dass es dabei sich nicht um eine eigenständige Diagnose handelt. Diese Angst wird eher als Unterart der Sozialen Phobie gehandelt, also als starke interaktionelle Angst. Es geht dabei vor allem um die Angst vor Bewertungen und vor Kritik.

uniCROSS:
Welche Symptome gibt es bei dieser Angst?

Wolf:
Das ist ein großes Spektrum. Es beginnt mit leichten Hemmungen oder Abneigungen und damit, dass man lieber Textnachrichten schreibt. Betroffene schieben Anrufe vor sich her. Das ist erst mal nichts behandlungsbedürftiges, das kennen viele.

uniCROSS:
Was passiert bei stärker Ausprägung?

Wolf:
In diesem Fall wird Angst erlebt. Diese kann sich in körperlichen Symptomen äußern, wie zittrige Hände, man schwitzt oder wird rot, der Mund wird trocken, bekommt Herzrasen oder Atemnot und bekommt kein Wort mehr raus. Man kann dann von Panikattacken sprechen. Es wird die ganze Zeit darüber nachgedacht, was am Telefon gesagt wurde und wie der Betroffene am Hörer rübergekommen ist. Ganz klassisch ist auch Vermeidungsverhalten: Es wird alles getan, um nicht anrufen zu müssen und geht nicht an das Telefon, wenn es klingelt.

uniCROSS:
Ab wann sollte etwas gegen diese Angst unternommen werden?

Wolf:
Wenn die Angst so weit geht, dass der Job nicht richtig ausgeführt werden kann, die Angst den Alltag massiv einschränkt oder man unter den körperlichen Symptomen leidet, würde ich etwas dagegen tun. Bei schwach ausgeprägter Form kann es helfen, sich schlicht zu überwinden. Wenn es aber pathologisch wird, kommen Betroffene da selten selbst heraus. Dann kann man professionelle Hilfe in Form eine:r Therapeut:in oder einer Selbsthilfegruppe in Anspruch nehmen. Dabei kann Exposition geübt werden. Dabei begeben sich Betroffene bewusst in diese Situation und trainieren das Telefonieren.

Kombiniert wird das meist mit Entspannungsverfahren und kognitiver Umstrukturierung: Dabei unterzieht man die negativen Gedanken einem Realitätscheck und versucht sie dadurch zu korrigieren. Nach dem Motto: Was kann denn Schlimmes am Telefon passieren?

uniCROSS:
Muss in Zeiten von Text- und Sprachnachricht überhaupt etwas gegen die Angst unternommen werden?

Wolf:
Natürlich gibt es die Möglichkeit, alles digital zu machen. Meistens geht ein Anruf aber viel schneller und durch die Stimme werden Emotionen übertragen. Bei einem Telefonat entsteht eine andere Intimität als bei einer Textnachricht. Das ständige Vermeiden ist sowieso sehr anstrengend.

uniCROSS:
Wer ist besonders betroffen?

Wolf:
Man geht davon aus, dass im Mittel 15 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal in ihrem Leben von einer behandlungsbedürftigen sozialen Phobie betroffen sind. Besonders Jugendliche sind betroffen, vor allem von der Telefonierangst. Laut der aktuellen Jugend-Medien-Informationsstudie sind es zwölf bis 17 Prozent. Studien aus Großbritannien zeigen allerdings, dass alle Altersgruppen zumindest gewisse leichte Symptomatiken der Telefonierangst zeigen. Da können es etwa 60 bis 70 Prozent sein.

uniCROSS:
Gibt es die Telefonierangst erst seit der Digitalisierung?

Wolf:
Auch früher gab es diese Ängste und Hemmungen. Damals sind sie nur nicht aufgefallen, weil es keine pragmatische Alternative zum Telefonieren gab wie heute. Die Digitalisierung ist nicht die Ursache des Problems, aber ein Katalysator. Sie trägt sehr zu der Angst bei, indem sie dieses Vermeidungsverhalten aufrechterhält. Wir müssen uns Interaktionen am Telefon nicht stellen. Das ist das Fatale. Bei Ängsten ist das ein Teufelskreis. Wenn ich nicht lerne, damit umzugehen und keine positiven Erfahrungen machen kann, dann verstärkt das die Angst. Ich würde daher nicht ausschließen, dass Telefonierangst eine eigenständige Diagnose wird.

uniCROSS:
Haben Sie einen Tipp gegen die Telefonierangst?

Wolf:
Ganz klar: Lächeln. Man kommt sich blöd vor, aber es geht einem besser, das wird auch am eigenen Körpergefühl und der Stimme deutlich. Der oder die Aktionspartner:in wird dadurch kommunikativer. Es ist ein Kulturgut, aber Telefonieren ist etwas, das man lernen muss.

uniCROSS:
Frau Wolf, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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