Ich bin 26 Jahre alt und wohne seit 2 Jahren mit meinem Freund zusammen. Diese beiden Tatsachen scheinen für viele Legitimation genug, die Frage aller Fragen stellen zu dürfen: „Wann bekommt ihr denn Kinder?“ Gelegentlich wechselt sie sich ab mit „Wann heiratet ihr denn?“ Ich stelle mir seit längerem die Frage, ob und wie ich darauf antworten sollte. Es geht nicht darum, einen Lebensentwurf auf- oder abzuwerten. Es geht vielmehr um ein Pflichtgefühl, das viele Frauen empfinden. Ein Pflichtgefühl, das die eigene Entscheidung beeinflusst, ob man sich für oder gegen Kinder entscheidet. So tadelte auch der Papst Anfang des Jahres Paare ohne Nachwuchs dafür, dass sie lieber Katzen als Kinder hätten. Und das in einer Zeit, in der, wenn man einigen Wächter*innen des Patriarchats Glauben schenken möchte, der Feminismus seinen Zenit doch schon längst überschritten habe. Dass viele Frauen nach wie vor Rede und Antwort zum Thema Kinderwunsch stehen müssen, beweist das Gegenteil.

Die Frage nach dem Kinderwunsch kann komplexe bis schmerzhafte Antworten hervorbringen. Und deshalb ist es keine Frage, die man mal eben zwischen Tür und Angel auf einer Geburtstags- oder Firmenfeier stellen sollte. Es geht dabei um eine der persönlichsten Entscheidungen, die Menschen in ihrem Leben treffen. Möchte ich die Verantwortung für einen anderen Menschen mindestens 18 Jahre lang übernehmen, und zwar mit allem, was dazu gehört? Und trotzdem sind meine Onkels und Tanten jedes Mal gleichermaßen erzürnt, wenn ich diese Frage nicht ausführlich mit ihnen besprechen möchte. Um es noch deutlicher zu sagen: Die Frage nach dem Kinderwunsch ist kein Smalltalk-Thema. Wer Angst vor Gesprächspausen hat, sollte lieber über Konzertbesuche und seine Lieblingstiere reden. Oder über die Rückkehr von Bubble-Tea diskutieren. Wer Frauen ungefragt die K-Frage stellt, wühlt indirekt in ihren Beziehungen, ihren Finanzen, ihrem medizinischen Status, ihren Familiengeschichten und natürlich in ihren beruflichen Plänen – eigentlich in jedem Bereich ihres Lebens.

Viele Menschen stellen diese Frage auch, ohne zu überlegen, bei wem sie landet und welchen Schaden sie anrichten kann. Versucht meine Gegenüber vielleicht schon seit Jahren, schwanger zu werden? In Deutschland ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Das geht aus aktuellen Zahlen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hervor. Jede zweite Person der 3.000 Befragten gab an, sich wegen der Kinderlosigkeit ausgegrenzt zu fühlen. Viele ungewollt kinderlose Paare kämpfen mit Schuldgefühlen, Depressionen oder einem niedrigen Selbstwertgefühl. Vielleicht landet die Frage aber auch bei Menschen, die gerade ein Kind verloren haben. Jede sechste schwangere Frau hat eine Fehlgeburt. Viele Frauen entwickeln schon in den ersten Wochen starke Gefühle für den Embryo in ihrem Bauch. Wenn sie eine Fehlgeburt erleiden, trauern sie oft ähnlich, wie wenn sie einen wichtigen Menschen verlieren, der schon auf der Welt ist. Mit dem Unterschied, dass die Trauer nach einer Fehlgeburt eher eine Trauer über eine verlorene Zukunft und Träume ist. Eine Review aus dem Jahr 2018 kommt zu dem Ergebnis, dass vier bis sechs Wochen nach der Fehlgeburt acht bis 20 Prozent der Frauen Symptome einer leichten Depression zeigten. Fast ein Drittel hatte stärkere Angstgefühle. Und dann kommt irgendein Peter auf der nächsten Firmenfeier und reißt mit dieser für ihn banalen Frage die Wunde wieder auf.

Und dann gibt es ja auch noch den Fall, dass Frauen keine Kinder wollen. Punkt. In den seltensten Fällen wird das aber ohne eine Gegenfrage hingenommen. „Warum denn nicht?“ oder „Warte mal ab, wenn du den richtigen Partner findest, ändert sich das bei dir auch“. Warum ist es für viele so schwer, diesen Grund einfach zu akzeptieren? Wahrscheinlich aus demselben Grund, wie es für viele unverständlich ist, nicht monogam zu leben oder keinen Käse essen zu wollen. Andere Lebenskonzepte verwirren und verunsichern Menschen. Es gibt nur einen Grund, der von der neugierigen Meute akzeptiert wird: ambitionierte Karrierepläne. Wer sich als Frau für eine erfolgreiche Karriere entscheidet, darf sich gegen Kinder entscheiden. Aber natürlich nur vorübergehend, denn irgendwann sollte schon an die Familienplanung gedacht werden. Und auch das sollte genauso perfekt über die Bühne gehen wie die Karriere. Supermama und Karrierefrau. Der Mutter-Mythos ist über viele Jahrzehnte gewachsen und wird jetzt noch um die Erwartungen an eine erfolgreiche Karriere ergänzt.

Aus diesem Hamsterrad der Erwartungen auszubrechen, ist allein schon Grund genug, sich gegen Kinder zu entscheiden. Abgesehen davon gibt es viele weitere Gründe, warum man sich gegen eigene Kinder entscheidet.

Die Subtexte machen Fragen zur Kinderplanung so unverschämt. Und bevor jetzt die „Man wird doch wohl mal fragen dürfen“-Meute loswettert: Unter bestimmten Umständen darf natürlich gefragt werden. Aber man sollte sich die Frage stellen: Möchte ich mit diesen Frauen auch über Unfruchtbarkeit, Beziehungsprobleme und Fehlgeburten sprechen? Und möchte meine Gegenüber das, jetzt in diesem Moment? Wenn die Antwort darauf Nein ist: Klappe halten. Wer sie mit Ja beantwortet, weiß wahrscheinlich ohnehin über alles Bescheid.