Guten Tag Frau Meckel, Sie sind für die Initiative Stolpersteine in Freiburg verantwortlich. Die Stolpersteine gelten als das größte dezentrale Denkmal der Welt. Die Steine sind in ganz Deutschland zu finden, aber auch in 30 weiteren europäischen Ländern. Für wen werden die Stolpersteine verlegt?

Die Steine werden für alle in der NS-Zeit verfolgten Gruppen verlegt, also neben Jüd*innen auch für Sinti und Roma, Euthanasieopfer, politisch Verfolgte und Homosexuelle – was damals kriminalisiert war. Mit dem Projekt möchten wir versuchen den Verfolgten und ihren Nachkommen ihre Namen und ihre Würde zurückgeben.  

Wie genau sehen die Stolpersteine aus?

Die Stolpersteine sind Betonwürfel mit einer Messingplatte darauf. Auf dieser Platte steht meistens „Hier wohnte…“, dann der Name und das Geburtsjahr. Anschließend folgt die Biografie dieser Person und weswegen sie in der NS-Zeit, also von 1933 bis 1945, verfolgt wurde.

Der Stein selbst ist fast 10 x 10 x 10 Zentimeter groß, ungefähr zweieinhalb Kilo schwer und endet oben mit der quadratischen Messingplatte. Die Schrift kommt durch Schlagbuchstaben zustande, die Buchstaben und Zahlen werden alle einzeln mit dem Hammer in das Messing eingeprägt.

Die Stolpersteine werden wie ein Stammbaum auf der Straße vor dem letzten freiwilligen Wohnsitz der Person angeordnet. Die Eltern oder Großeltern kommen ganz oben hin, darunter deren Kinder und dann wiederum deren Kinder.

Wie haben Sie es geschafft, das Stolperstein-Projekt nach Freiburg zu bringen?

Mein Mann und ich haben das Projekt in Köln gesehen und dachten: ja das ist genau das, was in Freiburg fehlt. Als wir 1997 hergezogen sind, war hier praktisch nichts, was an den NS-Terror erinnerte. Ich habe dann selbst recherchiert und herausgefunden, dass in der Region die erste große Deportation überhaupt stattgefunden hat, bei der 1940 6.500 jüdische Menschen aus Baden und der Saarpfalz verhaftet wurden. Das hat mich geschockt.

2002 haben wir dann den ersten unerlaubten Stein in Freiburg verlegt, noch ohne Genehmigung der Stadt. Gunter Demnig brachte mir den ersten Stolperstein für Professor Dr. Robert Liefmann mit und den verlegten wir am 22. Oktober 2002 in der Goethestrasse 33, zusammen mit einer Gruppe von daran interessierten Menschen. Das war der Moment, in dem ich dachte, jetzt muss die Stadt sich bewegen, jetzt müssen die ja was machen. Sechs Wochen später hatten wir für das Projekt das einstimmige Okay im Gemeinderat.

Gunther Demnig ist Künstler und der Initiator der Stolpersteine. Mit welcher Intention hat er diese Art des Gedenkens entwickelt?

Ich würde ihn als Spurenleger bezeichnen. Er wollte, dass wir über die Steine „stolpern“, er wollte auch, dass die Leute die Steine betreten und dadurch in ihrem Alltag darauf aufmerksam werden. Ich fragte beim Zentralrat der Juden nach, ob das denn überhaupt angemessen sei. Mir wurde erklärt, dass das in Ordnung sei: Gemäß dem Judentum kehrt die Seele nach dem Tod einer Person in den Himmel zurück. Ab diesem Zeitpunkt könne man der Seele nichts mehr anhaben.

Gunther Demnig war es zudem wichtig, dass die Stolpersteine dort präsent sind, wo niemand sie entfernen könne. Und diese halten für mindestens 100 Jahre.

Es gibt auch Kritik an den Stolpersteinen. Es sei nicht wirklich ein Gedenken auf Augenhöhe, da an die Menschen nur mit einem Stein auf dem Boden erinnert wird und nicht mit einer Gedenktafel. Auch seien die Steine dem Schicksal der Opfer nicht würdig, da nur verkürzte Daten wie Geburt und Tod oder Deportation draufsteht. Wie begegnen Sie dieser Kritik?

Diese Kritik finde ich nicht ganz zutreffend. Neben Geburt und Tod finden sich auch weitere biografische Angaben. Allerdings steht manches auch nicht darauf, beispielsweise wenn eine Person verhaftet anstatt deportiert wurde. Oder es steht auch nicht „KZ“ drauf. Das kritisiere auch ich und würde es ändern, wenn ich könnte. Aber es ist besser als nichts. Die Stolpersteine bringen das Gedenken in den Alltag.

Um die Inschrift zu lesen, muss man sich verbeugen. Das ist praktisch die Geste dessen, was man mit einem Stein erreichen kann. Ich sehe sehr oft, wie sich Passant*innen verneigen oder die Steine ihren Kindern erklären.

Außerdem werden oft auch Putzaktionen durchgeführt, von Privatpersonen, Anwohner*innen oder Schulklassen. Die Leute haben eben doch Ehrfurcht und Scham und betreten die Steine nicht. Denn dann wären sie blank poliert, so wie Gunther Demnig sich das vorgestellt hatte.

Das Projekt ist nicht abgeschlossen, laufend kommen Gedenksteine hinzu. Ende November 2023 wurden neue Steine in der Wiehre und in Günterstal verlegt. Wie läuft der Prozess einer neuen Verlegung ab?

Manchmal recherchiere ich selbst, manchmal melden sich Angehörige, die für ihre Familie Stolpersteine verlegt haben möchten. Diese Informationen müssen wir überprüfen und nachrecherchieren. Ich bin mit einem Historiker befreundet, der gerne in die Archive geht und eine Zusammenfassung über diese Personen erstellt. Daraus mache ich ein Exzerpt. Drei bis vier Wochen dauert es, bis die finale Version steht.

Wenn die Texte genehmigt sind, wird jeder Buchstabe in das Messing eingeprägt. Ein Jahr im Voraus melde ich die Termine, die Zahl der Steine und den Ort der Verlegung bei dem Projekt Stolpersteine und Gunter Demnig an. Dieses Jahr haben wir 29 Steine bestellt und per Post zugeschickt bekommen. Die verlegten wir dann hier in Freiburg zusammen mit dem Tiefbauamt.

Gunter Demnig betreut das Projekt noch hauptsächlich mit. Er macht den Plan der Verlegungen, mit teilweise mehreren Steinen pro Tag an verschiedenen Orten.

Sie kümmern sich nicht nur um die Verlegungen, Sie haben auch ein Buch über die Stolpersteine geschrieben, mit 280 Biografien von Freiburger Opfern des Nazi-Terrors. Außerdem halten und organisieren Sie Vorträge zum Thema, auch an der Uni. Was sind die nächsten Termine?

Mein Mann und ich halten am 17. Januar 2024 am Institut für Empirische Kulturwissenschaft anlässlich des Holocaust-Gedenktags einen Vortrag über jüdisches Leben in der Wiehre. Und am 28. Januar kommt Eva Weyl auf meine Empfehlung hin für ein Zeitzeuginnen-Gespräch in das Historische Kaufhaus.