Wer im Internet nach dem Begriff „Einbahnstraße“ sucht, der findet in der Onlineausgabe der Straßenverkehrsordnung folgenden Satz: „Wer ein Fahrzeug führt, darf die Einbahnstraße nur in Richtung des Pfeils befahren.“ Ein ähnliches Gefühl erweckt die Debatte um das soziale Pflichtjahr, in der oftmals eine Bringschuld von der einen in die andere Richtung herbeigeredet wird – von Jung zu Alt.

Dabei soll es der „Kitt“ werden, der die Gesellschaft zusammenhält. Die Idee dahinter: Menschen sollen ein Jahr lang tätig werden, um die Gemeinschaft zu stützen. Die Bandbreite an Wahlmöglichkeiten ist hierbei riesig: Man kann in einem Naturschutzgebiet arbeiten, den Denkmalschutz unterstützen, zur Bundeswehr gehen oder beim Technischen Hilfswerk aushelfen. So soll ein neues Verständnis von gesellschaftlichem Zusammenhalt entstehen, indem alle sich aktiv einbringen, um der Gemeinschaft etwas zurückgeben.

Doch wie unlängst in Hannover entsteht allzu oft der Eindruck, dass vor allem junge Menschen jetzt „dran seien“. Natürlich ist das Erarbeiten eines Parteiprogramms nicht gleichzusetzen mit einer Regierungserklärung oder gar einem Gesetz, ein Tonus entsteht allerdings dennoch.

Dieser wird unterfüttert von einem jahrzehntelangen Abwehrkampf gegen jugendliche Emanzipationsmöglichkeiten. Zum Beispiel wehren sich Bund und Länder gegen die Absenkung des Mindestwahlalters mit Verweis auf juristische Schwierigkeiten oder mangelnder Reife bei Jugendlichen. In deutschen Klassenzimmern bleiben Overheadprojektoren ein fester Bestandteil und stehen sinnbildlich für eine schleppende Digitalisierung des Bildungswesens. Zu oft werden Klimaaktivist*innen bestenfalls belächelt und schlimmstenfalls als „Terrorist*innen“ abgekanzelt.

Darüber hinaus sieht sich die Jugend mit einem gen Himmel gestapelten Turm an Altlasten konfrontiert: Die Tilgung von Staatsschulden, das überlastete Rentensystem und die existenzielle Gefahr des Klimawandels – für all diese Dinge werden die kommenden Generationen die Konsequenzen ausbaden müssen.

Auch werden die Leistungen der jungen Generation verkannt: Zwei Jahre lang stellte diese ihre Interessen, ihr Erwachsenwerden in den Hintergrund, um ältere Menschen in der Coronapandemie zu schützen. Junge Menschen waren dabei disproportional betroffen, weil sie in einer so wichtigen Phase ihres Lebens auf den sozialen Kontakt miteinander verzichten mussten. Statt auf dem Pausenhof zu spielen, wurde vor Bildschirmen gesessen.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich junge Erwachsene fragen, was der Staat für sie getan habe und weshalb man sich nun in einem sozialen Pflichtjahr aufopfern sollte.

Es steht viel auf dem Spiel

Dabei wäre genau jetzt der Zeitpunkt, um gesellschaftlich enger zusammenzurücken, um die Krisen von heute zu lösen. Ein Krieg in Europa, anziehende Energiepreise und eine schwächelnde Wirtschaft heizen den Ofen der Inflation weiter an sodass vielerorts die Heizungen kalt bleiben. Die Coronapandemie stellt das Gesundheitswesen immer noch vor Herausforderungen. Der Klimawandel bedroht die Existenzgrundlage des menschlichen Lebens, so wie wir es kennen und fordert ein grundlegendes Umdenken beinahe aller Lebensbereiche. Aus der Angst vor dieser ungewissen Zukunft schlagen reaktionäre Kräfte Kapital und versuchen mit einfachen Lösungen für komplexe Probleme an den Grundfesten der Demokratie zu rütteln.

Das soziale Pflichtjahr ist ein wichtiger Baustein, um diesen Problemen zu begegnen. Menschen würden dazu gebracht werden, einander in einem neuen Licht zu betrachten, solidarisch zu sein und ein neues, respektvolles Miteinander (wieder) zu entdecken. Auch junge Menschen können und sollten von dieser Möglichkeit profitieren.

Ein Paradigmenwechsel ist nötig

Das Soziale Pflichtjahr ist richtig und wichtig, gerade jetzt, in Zeiten von Krankheit, Krieg und Krise wäre es wichtig, ein neues Gefühl für das soziale Miteinander aufzubauen.

Allerdings sollten auch Politiker*innen mehr auf die Sorgen und Ängste junger Menschen eingehen und sich die Frage stellen, inwieweit sie ihrer Verantwortung nachkommen, die Belange aller zu beachten. Um dieser Verantwortung gerechter zu werden, könnte die Politik beispielsweise das Wahlalter absenken, Schulen besser ausstatten oder Kulturprogramme für junge Erwachsene ausbauen.

Kurzum: Die Politik muss Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen und einsehen, dass die gesamte Gesellschaft, unabhängig vom Alter, in der Pflicht ist, die Gemeinschaft mehr in den Blick zu nehmen. Dann und nur dann wird das soziale Pflichtjahr für junge Menschen funktionieren.

Denn gesellschaftliche Pflicht ist keine Einbahnstraße.