Hallo Jeton, in Berlin finden aktuell viele Blockaden der Letzten Generation statt, du warst auch selbst dort. Wie waren deine Erfahrungen in Berlin?

In Berlin gab es seit dem 19. April 2023 eine Protestphase der Letzten Generation. Ziel war es, die Stadt zum Stillstand zu bringen. An einem Montag hatten wir 42 Blockaden, da war schon ganz schön viel Stillstand erreicht. Die Aktion sollte den Druck auf die Politik erhöhen und dazu beitragen, dass sich die Menschen positionieren müssen.

Meine Erfahrung war, dass sich diese Provokation beziehungsweise der Konflikt zugespitzt hat. Das hat sich auf mehreren Ebenen gezeigt. Zum Beispiel dadurch, dass die Gewalt auf den Straßen gegenüber den Aktivist*innen zugenommen hat.

Es haben sich aber auch viele Menschen solidarisch gezeigt, Blockaden und Forderungen unterstützt oder sich uns angeschlossen. Ich hab bei den Straßenblockaden Fotos gemacht um zu dokumentieren, wie die Aktivist*innen behandelt werden.

Gibt es bei den Straßenprotesten in Berlin Unterschiede zu denen in Freiburg?

Ich glaube, dass sich die Proteste in Berlin aufgrund ihrer Intensität und wie sie provozieren ganz klar von denen in Freiburg unterscheiden. Schon alleine dadurch, dass Berlin die Hauptstadt ist. Dort richtet sich der Protest noch viel deutlicher an die Bundesregierung. Wenn es zu einer Störung kommt, kann die Politik nicht mehr wegschauen und muss reagieren.

Aktivist*innen erfahren in Berlin immer mehr Gewalt, aber auf der anderen Seite wird auch immer mehr Verständnis geschaffen. Aus meiner Sicht haben die Menschen in Berlin deutlich gereizter reagiert als in Freiburg, was vermutlich daran lag, dass es viel mehr Proteste innerhalb kürzerer Zeit gab. Wahrscheinlich sind die Menschen dort auch schon mehrmals von den Blockaden und Staus betroffen gewesen. Diese Menschen fühlen sich dann natürlich ungerecht behandelt, dass andere sich das Recht herausnehmen zu entscheiden, ihren Alltag zu stören. Viele reagieren mit Unverständnis und teilweise auch gewaltvoll. Ich fand es erschreckend zu sehen, wie weit Menschen bereit sind zu gehen, wenn sie denken, dass sie ungerecht behandelt werden.

Aber wenn die Emotionen in den Hintergrund treten, können viele auch verstehen, was wir tun. Auch wenn viele nicht verstehen, warum gerade sie von dieser Störung betroffen sind und nicht die Politik, also warum sich die Menschen beispielsweise nicht vor den Bundestag kleben. Nach einigen Gesprächen verstehen dann aber glaube ich viele Menschen, dass die Proteste sich nicht gegen sie individuell richten und nicht sie persönlich konfrontiert werden sollen, sondern, dass der zivile Ungehorsam in Form von Straßenblockaden sehr effizient ist, um eine große Störung herbeizuführen und somit den Druck auf die Politik zu erhöhen.

Wie kamst du dazu dich bei der Letzten Generation zu engagieren?

Nachdem ich ein Jahr im Erasmus in Frankreich war, habe ich gemerkt, dass ich das Leben, das ich davor in Freiburg gelebt habe, so nicht mehr weiterleben möchte. Mir ist die Klimakrise immer wichtiger geworden und mir wurde klar, wie krass die Veränderungen global gesehen, aber auch hier in Europa, sind. So habe ich mich damit auseinandergesetzt, was ich für meine moralische Verantwortung halte. Zur Letzten Generation kam ich dann über zwei Freundinnen, die schon seit längerer Zeit hier in Freiburg sehr aktiv sind.

Ich bin jetzt ungefähr seit einem halben Jahr dabei. Das Ganze war ein Prozess, in dem ich mir viel Zeit genommen habe, um zu verstehen, wie die Letze Generation als Klimagerechtigkeitsorganisation funktioniert. Ich habe mich mit den Protestformen und dem Protest-Konsens auseinandergesetzt, also damit, dass es beispielsweise ein gewaltfreier Protest ist.

Wie bringst du dich ein?

Ich halte öffentliche Vorträge von der Letzten Generation, um über die Klimakrise aufzuklären und erzähle, was wir als Gruppe dagegen tun. Außerdem habe ich angefangen, Strukturen in Schulen zu etablieren und auch dort Vorträge zu halten. Wir werden von Schulen eingeladen oder gehen aktiv auf Schulen zu, um Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir versuchen den Schüler*innen die Klimakrise zu verdeutlichen und zu erklären, warum wir zivilen Ungehorsam leisten.

Für mich ist das die Schnittstelle zwischen der Geographie und meinem Lehramtsstudium. Mit den Vorträgen will ich der Gesellschaft näher bringen, wer die Letzte Generation überhaupt ist und was unsere Ziele sind. Dadurch, dass gerade Schüler*innen stark von den Folgen der Klimakrise betroffen sein werden, habe ich ein besonders großes Anliegen, mit diesen Menschen zu sprechen. Es geht uns aber nicht darum, Schüler*innen zu mobilisieren oder diese für unsere Proteste zu gewinnen.

Wir wollen ein Verständnis dafür schaffen, wieso sich Menschen hier in Deutschland dazu entscheiden, auf die Straße zu gehen und zivilen Widerstand gegen den aktuellen Kurs der Bundesregierung zu leisten. Für mich persönlich ist Bildung ein Schlüssel zum Verständnis. Ich würde mir wünschen, dass eine Schule, die sich als Institution versteht, demokratische Werte und Normen zu vermitteln, sich verpflichtet fühlt, einen Raum für kontroverse Diskussionen und Gespräche zu schaffen.

Wie ist die Reaktion der Schüler*innen?

Überwiegend positiv. Die meisten Schüler*innen wissen aufgrund der wissenschaftlichen Fakten darüber Bescheid, wie dringlich die Lage ist, in der wir uns befinden. Viele Schüler*innen sind offen für den Austausch und das Gespräch. Es kommen aber auch viele kritische Stimmen. Mich freut das, weil ich merke, dass sich die Menschen auf einer persönlichen Ebene damit auseinandersetzen und die Thematik nicht von sich wegschieben oder leugnen.

Wenn wir genug Zeit haben für Gespräche und Diskussionen und Raum für persönliche Fragen und Ängste geschaffen wurde, habe ich das Gefühl, dass die Menschen hinterher anders auf die Letzte Generation blicken. Auch was unsere Forderungen und wer die Menschen, die sich bei der Letzten Generation beteiligen, sind, ist danach meistens sehr viel klarer.

Ihr wählt Protestformen des zivilen Ungehorsams, dem absichtlichen Bruch mit dem Gesetz, um ein soziales Ziel zu erreichen. Ihr klebt euch zum Beispiel auf der Straße fest. Warum wählt ihr diese Form des Protests?

Wir wählen die Aktionsform, weil sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass durch den zivilen Ungehorsam Änderungen angestoßen werden konnten, die eine sehr große Auswirkung hatten und „Unmögliches“ möglich gemacht haben. Solche Änderungen waren beispielsweise das Ende der Apartheit in Südafrika, das Frauenwahlrecht, das für uns heute selbstverständlich ist oder die Unabhängigkeit Indiens von den Kolonialmächten. Die Klimakrise lässt sich durch ihre Ernsthaftigkeit in ihrer globalen Auswirkung und durch irreversible Schäden in eine historische Reihe einordnen.

Was möchtet ihr mit den Protesten erreichen?

Wir erhoffen uns, Aufmerksamkeit zu erzeugen und eine disruptive Störung zu verursachen. Wir wollen, dass sich alle Menschen bezüglich der Klimakrise und dem aktuellen Kurs der Politik in Deutschland positionieren.

Die Störung wird dadurch erzeugt, dass wir auf der Straße den Alltag der Menschen friedlich unterbrechen. Dadurch werden die Menschen gezwungen, physisch und emotional innezuhalten. Sie müssen sich die Frage stellen, warum Menschen gerade auf die Straße gehen und was sie da machen. Dementsprechend muss der Bezug zur Klimakrise hergestellt werden und es wird hoffentlich verstanden, dass es notwendig ist, was wir tun, weil die aktuelle Politik nicht ausreichend ist, um die Lebensgrundlagen von uns allen zu schützen. 

Du sagst, dass Menschen mit den Aktionen in ihrem Alltag gestört werden, damit die Klimakrise in das Bewusstsein der Gesellschaft gelangt. Geht es bei euren Protesten darum, die politische Ebene zu erreichen oder Menschen abzuholen, die ihr bisher noch nicht erreicht habt?

Die Protestformen richten sich auf jeden Fall auch an die Politik. Leider hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass kein Kurswechsel hin zum 1,5-Grad-Ziel herbeigeführt werden konnte – auch wenn eine Klimagerechtigkeitsbewegung wie Fridays For Future die breite Masse in Deutschland mobilisieren kann. Aufgrund der Dringlichkeit mussten neue Protestformen gefunden werden, um weiterhin Druck auf die Politik auszuüben.

Würden wir uns nur an die Gesellschaft richten, dann hätte es wahrscheinlich wenig Wirkung. Menschen, die Politik machen, haben ja auch die Verantwortung, uns zu schützen. Und wenn die aktuelle Regierung nicht dabei ist, sich an die Verfassung zu halten, richtet sich unser Protest ganz klar an die Politik beziehungsweise an die Menschen, die in den Positionen sitzen, um die notwendigen Veränderungen herbeizuführen.

Ein großes Ziel der Letzten Generation ist, die Auswirkungen der Klimakrise einzudämmen. Habt ihr konkrete Forderungen, die direkt umgesetzt werden könnten?

Die aktuell wichtigste Forderung für uns ist der Gesellschaftsrat, ein Gremium aus ausgelosten Bürger*innen. Der Gesellschaftsrat würde dafür sorgen, dass aus der Zivilgesellschaft direkte Einflüsse in die Politik hineinfließen, die dann im Parlament bearbeitet werden können. Selbstverständlich soll der Gesellschaftsrat den Bundestag nicht ersetzen oder die Demokratie in Frage stellen, sondern lediglich als weiteres Werkzeug gesehen werden, um die Demokratie vielfältiger und inklusiver zu gestalten.

Weitere Forderungen sind das 9-Euro-Ticket und ein Tempolimit von 100 km/h auf den Autobahnen. Das würde sich direkt umsetzen lassen.

Du hast dich auch schon auf der Straße festgeklebt. Wie fühlt sich das an?

Viele Menschen, die aus einem Ohnmachtsgefühl und einer Schockstarre heraus endlich etwas tun, fühlen ganz viel Hoffnung und Kraft. Dass jeder einzelne doch etwas bewirken kann, und das, obwohl ich selbst nur ein ganz kleiner Teil der Gesellschaft bin. Das geht mir selbst auch so. Aber ich glaube, dass das niemand von uns gerne tut und niemand das Interesse hat, Menschen gegen sich aufzuhetzen, geschubst, getreten oder beleidigt zu werden. Trotzdem halten die Aktivist*innen es für das Richtige, weil es Erfolg verspricht.

Aber natürlich ist es erschreckend zu sehen, wie gewaltbereit Menschen uns gegenüber sind, das erschüttert mich sehr. Mich macht es traurig, dass Konflikte und Verantwortung von der Politik auf die Zivilgesellschaft abgegeben werden. Und sich unter uns Individuen die Fronten verhärten. Wie wir anfangen, uns zu kritisieren und uns moralisch gegenseitig zu verurteilen. Das sind Konflikte, die nicht nötig wären, wenn sich die Bundesregierung einfach daran halten würde, was sie der Gesellschaft schuldet und versprochen hat.

Ich habe auch Angst. Aber nicht vor den Menschen, die Gewalt ausüben. Sondern vor der immer unaufhaltsameren Klimakrise und was passiert, wenn diese auch hier in Europa in Form von Dürren, Wasserknappheit, Kriegen und Ressourcenkonflikten präsent ist.

Kannst du nachvollziehen, dass Menschen negativ auf eure Proteste reagieren?

Ja, ich kann das total nachvollziehen. Wir würden es sofort lassen, auf die Straße zu gehen, wenn sich die Politik ändert. Ich denke auch, dass die Menschen, die uns gewaltvoll entgegentreten, das auch nur tun, weil sie selbst überfordert sind und nicht wissen, was sie anderes tun sollen. Dass sie selbst auch viele Ängste haben. Das kann die Angst sein, einen Termin zu verpassen, ihr Kind nicht von der Schule abholen zu können oder sich ihr Leben nicht mehr leisten zu können.

Im Netz ist viel über negative Reaktionen zu lesen, was sind denn positive Reaktionen während einer Blockade?

Dass sich Menschen dazustellen und sich solidarisieren. Oder dass sie versuchen, uns zu schützen, wenn wir von anderen Menschen von der Straße weggezogen werden und ihnen erklären, warum wir diese Art des Protests gewählt haben.

Ein besonders schönes Erlebnis in Berlin war, als ein Fahrradfahrer bei einer Blockade angehalten hat. Die Polizei war noch nicht da. Er hat Menschen davon abgehalten, uns von der Straße zu reißen und dabei seine eigene Sicherheit und Gesundheit in Kauf genommen, um uns zu schützen. Dann hat er sich zu uns gesetzt und ist bis zum Schluss dageblieben. Das war sehr bewegend.

Wie gehst du mit der zunehmenden Repression um, die euch durch die Aktionsform des zivilen Ungehorsams widerfährt?

Ich persönlich bin von der Repression noch nicht so betroffen, weil ich noch nicht bei so vielen Aktionen dabei war. Viele von uns haben aber Angst vor unverhältnismäßigen Gefängnisstrafen, vor den finanziellen Folgen und den Gerichtsprozessen, die auf sie zukommen können. Die meisten von ihnen hätten wahrscheinlich nicht für möglich gehalten, dass sie irgendwann in ihrem Leben mal vor einer Richter*in stehen und mit einer Gefängnisstrafe rechnen müssen. Aber wir haben große Angst vor den Auswirkungen der Klimakrise und dass sich unsere Lebensgrundlagen ändern, so dass wir weitermachen. Deshalb ist uns egal, was die Aktionen für unsere berufliche Zukunft bedeuten.

Was gibt dir Hoffnung?

Mich macht es wahnsinnig, mitanzuschauen, wie wir immer weiter in die Klimakrise reinschlittern. Wenn ich aber sehe, dass es Menschen gibt, die Repression auf sich nehmen, die bereit sind, sich dem System in den Weg zu stellen und sogar Gefängnisstrafen in Kauf nehmen, weil sie es für richtig halten, was sie tun, gibt es mir immer unfassbar viel Hoffnung und Kraft.